Annika Schreiter: Nicht mehr jugendlich, aber schon gar nicht erwachsen

I ́m not a girl, not yet a woman. All I need is time, a moment that is mine, while I ́m in between...“, trällerte Britney Spears Anfang der 2000er Jahre. Damals war sie Anfang 20 und eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der US-Popgeschichte. Dennoch sang sie in diesem Lied, dass sie Zeit braucht, um erwachsen zu werden. Damit beschreibt dieser Song den Kern der Lebensphase der jungen Erwachsenen: Jener Menschen im dritten Lebensjahrzehnt, die „in between“, also dazwischen, hängen zwischen Volljährigkeit auf der einen und Abhängigkeit von der Familie auf der anderen Seite und die sich irgendwie noch nicht erwachsen fühlen. Prägend für diese Phase sind die Suche nach sich selbst, der Karriere und dem richtigen Partner oder der Partnerin.

Die Erfindung der Lebensphasen

Bis vor Kurzem teilte man das Leben gemeinhin in vier Phasen auf: Der Mensch ist erst Kind, dann jugendlich, dann erwachsen und abschließend Senior. Wobei sich diese Phasen alle noch einmal differenzieren lassen, z. B. in Baby, Kleinkind, Vorschulkind usw. Schon diese mögliche Unterteilung macht deutlich, dass die Vierteilung des Lebens so einfach nicht ist. Noch komplizierter wird es, wenn man nach verbindlichen Kriterien oder gar Eintrittsaltern sucht. Nur juristisch wird man schnell fündig: Baby bis zu einem Jahr, dann Kind und ab 12 bis 18 jugendlich, mit dem Schonraum bis 21. Medizinisch wird oft der Eintritt in die Pubertät zur Bestimmung des Übergangs von Kind zu Jugendlichem hergenommen. Der Schulabschluss und Beginn oder Ende des Arbeitslebens sind weitere Markierungen im Lebenslauf, die die Übergänge von Lebensphasen markieren (können).

Diese Vielfalt der Kriterien zeigt, dass Lebensphasen keinen Naturgesetzen folgen, sondern soziale Konstrukte sind. Es lassen sich zwar relativ objektive Kriterien wie Alter, körperliche Merkmale oder erfolgreich bewältigte Entwicklungsaufgaben finden. Aber diese unterscheiden sich je nach Zugang – z. B. juristisch, pä-dagogisch, medizinisch – und nach der Funktion, die sie erfüllen sollen. Damit unterliegt die Einteilung der Lebensphasen kulturellem und historischem Wandel. (Galuske & Retzke, 2008: 1)

Die Kindheit ist eine Erfindung der Neuzeit. Im Mittelalter gab es nur Säuglinge und Menschen. Das Wort Kind beschrieb ein Verwandtschaftsverhältnis. Erst ab der Neuzeit wird Kindheit als Lebensphase der Abhängigkeit von Erwachsenen in den Blick genommen und ein besonderes Schutz- und Bildungsbedürfnis dafür formuliert. Dadurch erhalten die jüngsten Menschen zwar kindgerechte Aufmerksamkeit, sie werden aber auch zunehmend aus der Welt der Erwachsenen ausgeschlossen und in einen pädagogisierten Schonraum verbannt. (Galuske & Retzke, 2008: 1; Rißmann, 2015: 256f ) 

Die Jugend wird erst ab Ende des 19. Jahrhunderts als eigene Lebensphase betrachtet. Angestoßen wurde dies vor allem von Bewegungen wie den Bur-schenschaften oder später den Wandervögeln. In engem Zusammenhang steht diese Entwicklung mit der Einführung der Schulpflicht. Assoziationen zur Jugend sind seither Aufbegehren sowie die Suche nach dem Ich und einem Platz in der Welt der Erwachsenen. Daher wird der Jugend ein Bildungsmoratorium zum Lernen und Ausprobieren u. a. durch die Schulzeit gewährt. (Galuske & Retzke, 2008: 1) In den 1960er Jahren wird erstmals eine weitere Phase erwähnt: die Postadoles-zenz oder die jungen Erwachsenen. 

Im englischsprachigen Raum hat sich der Begriff der „emerging adulthood“ (Arnett, 2000) etabliert. Gemeint sind jene jungen Menschen, die zwar volljährig sind, sich aber emotional und/oder finanziell noch nicht von ihren Eltern gelöst haben. Während diese anfänglich als problematische Ausnahmefälle betrachtet wurden, hat sich eine solche Phase in den vergangenen vier Jahrzehnten zum Normalfall entwickelt. Galuske und Retzke (2008) beschreiben das junge Erwachsenenalter folgendermaßen: „Aus dem ‚nicht mehr und noch nicht‘ als Kennzeichen der Jugendphase wird das ‚nicht mehr ganz und noch nicht richtig‘ als Lebensgefühl der jun-gen Erwachsenen.“

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Foto: pict rider/Adobe iStock