Bernd Wildermuth: Das mehr liegt außerhalb

Zum Verhältnis von Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit

Biographischer Einstieg

Ich erinnere mich noch genau. Es war Mitte der 90er Jahre. Ich war damals Bezirksbeauftragter für die Konfirmandenarbeit im Dekanat Tübingen. Die hauptamtliche Jugendpfarrerin des Kirchenbezirks kam bei einer Dienstbesprechung auf mich zu mit den Worten: „Bernd, wir kommen in der Jugendarbeit an die Jugendlichen nicht mehr ran! Wir müssen jetzt die Konfirmanden …!“ Für mich war das damals der Start einer wechselvollen Beziehung von Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit.

Denn es geht immer um eine Verhältnisbestimmung und wie in jeder Beziehung geht es auch immer um die Frage: Wer hat das Sagen? Ich selbst war damals eindeutig und zu 100 Prozent „auf der Seite“ der Konfirmandenarbeit. Bei dem Gespräch mit der Jugendpfarrerin aus Tübingen erläuterte sie mir, das bis dato die Konfirmandenarbeit das Gegen-, wenn nicht Feindbild für die Jugendarbeit war. Die Konfirmandenarbeit war für die Jugendarbeit eindeutig im Reich der Finsternis angesiedelt: Zwang des Hingehens, verpflichtende und tödlich langweilige Gottesdienstbesuche am Sonntagmorgen, zäher nicht enden wollender Frontalunterricht – und vor allen Dingen: auswendig lernen! Sicherlich damals vor etwa 25 Jahren schon ein Zerrbild für den real-
existierenden Konfirmandenunterricht (KU). Andere Landeskirchen waren konzeptionell vielleicht weiter als die württembergische.

Der Versuch die Konfirmandenarbeit reformpädagogisch gegen Ende der 70er Jahre in Württemberg zu erneuern, war in und an der Landessynode gescheitert. Konfirmandenarbeit sollte weiter in bekannter Weise Glauben vermitteln. Methodisch stand weiter das Auswendiglernen von Katechismustexten ganz oben auf der Agenda. Parallel zu dieser KU-Reform-Debatte boomte die Jugendarbeit in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das galt für die missionarisch geprägte Jugendarbeit ebenso wie für die an ökologischen und friedensethischen Themen orientierte Jugendarbeit in der evangelischen Kirche.

Konfirmandenunterricht war Aufgabe des Pfarrers - und einiger weniger Pfarrerinnen. Dem KU haftete förmlich der Geruch von Amtskirche und (verstaubter) kirchlicher Tradition an. Dagegen war die Jugendarbeit geprägt von jungen ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, die kulturell auf der Höhe der Zeit und mit den Jugendlichen auf Augenhöhe unterwegs waren.
Leider ist eine empirische Beurteilung zur Lage der Jugendarbeit in der damaligen Zeit schwierig. Eine Jugendberichterstattung wie sie die badische und die württembergische Landeskirche mit „Jugend zählt!“ vorgelegt haben, war noch  in weiter Ferne.


Weil nichts bleibt wie es war

Ganz offensichtlich muss sich in den 90ern etwas verändert haben. Der Übergang in die Jugendarbeit nach der Konfirmation, das Zusammenfinden und die Vergemeinschaftung in einer Jugendgruppe für eine signifikante Anzahl von Jugendlichen eines Jahrgangs, war offensichtlich nicht mehr selbstverständlich. Die „Akquise“ von 14jährigen Jungen und Mädchen wurde in der Breite deutlich schwieriger. Das hatte keine demographischen Gründe! Denn ab den 90ern feierten die Kinder der Babyboomer-Generation (1955-1965) ihre Konfirmation. Auch wenn die Geburtenrate seit den 70er Jahren in Deutschland zu den niedrigsten in der Welt gehörte, so gab es doch viele Eltern, wenn auch mit wenigen Kindern. Dennoch ist die Zahl der Jugendlichen damals und heute nicht vergleichbar – es gibt heute mehr als ein Drittel weniger evangelische Jugendliche als Mitte der neunziger Jahre.

Über die Gründe, wenn sie denn nicht demografisch sind, lässt sich viel spekulieren. Fakt ist, dass in den 90er Jahren ein Wertewandel im Jugendalter einsetzt, der bis heute andauert. Eltern werden zu Vorbildern und das kapitalistische Prinzip des Wettbewerbs wird internalisiert. Vermutlich sind es diese Entwicklungen einer sich ausdifferenzierenden und einer als alternativlos erlebten kapitalistischen Gesellschaft, die für eine Teilnahme oder gar ein Engagement in der evangelischen Jugendarbeit alles andere als förderlich sind. Was liegt da näher als sich den Konfirmand*innen zuzuwenden, die jahrgangsweise nahezu komplett in jeder Kirchengemeinde erreichbar sind.


Motivlagen

Das Interesse der Jugendarbeit an der Konfirmandenarbeit liegt vor allem daran, an die Jugendlichen „heran zu kommen“. Es war offensichtlich: in der Konfirmandenzeit waren nahezu alle evangelischen 13 und 14 jährigen „verfügbar“.  

Auf der anderen Seite entwickelte die Konfirmandenarbeit ein Interesse an der Jugendarbeit, nicht als Organisationsform, sondern an ihren Methoden und Arbeitsweisen. Klassischer Konfirmandenunterricht wurde immer schwieriger zu halten. Wie kann man 13 und 14-jährige Mädchen und Jungen bei der „Stange“ halten? Wie kann die Konfirmandenzeit für alle zufriedenstellend bewältigt werden? Was lag da näher nicht nur „Sport, Spiel, Spannung“ und die Kategorie „Spaß“, in die Konfirmandenarbeit zu holen, sondern sämtliche Methoden kreativen Arbeitens. Beispielhaft sei das Buch von Günter Törner „KU mit Hand und Fuß – kreative Methoden zur Gestaltung der Konfirmandinnen und Konfirmandenarbeit“ von 1998 und die Reihe „Knockin‘ on Heaven‘s Door“, ebenfalls aus dem Gütersloher Verlagshaus, erwähnt. Die Reihe startete 1997  und hat den programmatischen Untertitel „mit Jugendlichen die Religion ihrer Lebenswelt entdecken – Praxismodelle für KU – RU - Jugendarbeit“. Was lag also näher als sich dort zu bedienen?  


Bilder, Missverständnisse und ein drohendes Dilemma

Damit liegt der Beziehung von Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit von Anfang an ein großes Missverständnis zugrunde. Die Konfirmandenarbeit wollte das know how der Jugendarbeit und Jugendarbeit wollte die Konfirmandinnen und Konfirmanden als Jugendliche für die Jugendarbeit. Was lag da näher als ein Deal, der zudem eine win-win-Situation verheißt! „Verknüpfung“ wurde nicht nur in der württembergischen Landeskirche das Zauberwort um diese Beziehung zu beschreiben. „Gut verknüpft!“ ist auch der Titel des Praxis-Leitfadens der Kirche von Kurhessen-Waldeck (1). In diesem Begriff bündeln sich alle Interessen und Visionen. Eindrücklich das Bild wie die Haare einer blonden und einer schwarzhaarigen jungen Frau zu einem Zopf geflochten werden. Es scheint zusammengebunden zu werden, was zusammengehört. Im Leitfaden der Kirche aus Kurhessen-Waldeck wird aber interessanterweise – und vollkommen zu Recht - genau dieses Bild nicht aufgegriffen, sondern das der Brücke und des Brückenbaus.

Anders als das Bild von der Verknüpfung, zeigt das Bild der Brücke und des Brückenbaus, dass Konfirmandenarbeit und Jugendarbeit grundsätzlich zwei verschiedene Arbeitsfelder sind und bleiben sollen. Beide wenden sich zwar grundsätzlich an die gleichen Jugendlichen, aber aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus. Konfirmandinnen und Konfirmanden wollen konfirmiert werden. Das ist ihr Interesse. Das ist das Interesse ihrer Eltern und der Familie.

Deshalb sind sie da. Natürlich kann sich in der Konfirmandenzeit eine Perspektive zur Jugendarbeit hin entwickeln, aber das ist in der Konfirmandenarbeit selbst nicht angelegt. Dieses Missverständnis - „es sind ja dieselben Jugendlichen“ - wird in der Praxis häufig sehr schnell aufgedeckt. Mir ist der Bericht eines hauptamtlichen Jugendpfarrers noch sehr gut in Erinnerung. Er erzählte, dass die, den Jugendkreuzweg vorbereitenden ehrenamtlich engagierten Jugendlichen ihm sagten, dass sie den Jugendkreuzweg nicht weiter durchführen werden, wenn wieder Konfirmandengruppen verpflichtend darin teilnehmen, weil sie einfach nur stören und sich auf nichts einlassen. Was in der Jugendarbeit schnell vergessen wird: Aus der Perspektive der Konfirmand*innen sind Veranstaltungen der Jugendarbeit im Rahmen des Konfis, eben auch nur Konfis. Die Grundprinzipien der evangelischen Jugendarbeit wie sie auch das KJHG in den Paragraphen 10 und 11 beschrieben werden, nämlich - Freiwilligkeit, Partizipation und Selbstbestimmung, sind eben nicht die Organisationsprinzipien der Konfirmandenarbeit und können es auch nicht sein. Wenn die Konfirmandenarbeit die Prinzipien der Jugendarbeit übernehmen wollte, dann müsste sie selbst dafür sorgen, dass die gesellschaftliche Wahrnehmung für Konfirmandenarbeit und der Konfirmation noch schneller marginalisiert wird und aus dem öffentlichen Raum gedrängt wird als dies ohnehin der Fall ist. Dann wären Konfirmandenarbeit und Konfirmation endgültig privatisiert und im Freizeitbereich angekommen. Noch ist die Konfirmation für die Mehrheit der Konfirmand*innen und ihrer Familien ein zentrales Fest im Lebenslauf. Das hier eine große Diskrepanz zwischen den westlichen und östlichen Landeskirchen besteht ist offensichtlich.

Auch für die Jugendarbeit birgt das Engagement in der Konfirmandenarbeit Gefahren. Sie wird schnell von ihr abhängig. Jugendcamps, die eigentlich zu Konfirmandencamps mutiert sind, lassen sich nur noch durchführen wenn auch die Konfirmandengruppen kommen und das Campgelände füllen. Man kann dann zwar große Zahlen vorweisen, aber sie entspringen nur sehr eingeschränkt der Jugendarbeit, sind in einem gewissen Sinne geschönt.

Auf einer gemeinsamen Tagung der Jugendpfarrerinnen und der Bezirksbeauftragen für Konfirmandenarbeit in der württembergischen Landeskirche vor knapp 20 Jahren hat Prof. Karl-Ernst Nipkow in einem sehr engagierten Gespräch konstatiert,  dass bei allen gewünschten und auch von ihm unterstützen Adaptionen aus der Jugendarbeit in die Konfirmandenarbeit hinein, die Konfirmandenarbeit immer auch Unterricht bleiben wird. Unterricht meint nicht nur, dass es etwas zu lernen gibt - auch und gerade in der Jugendarbeit werden intensive Lernerfahrungen gemacht - sondern dass das, was gelernt wird auch gesetzt ist. Es geht nicht nur um Themen, es geht auch um Inhalte. „Im KU geht es um eine didaktisch und methodisch gute Elementarisierung und Vermittlung von Glaubensinhalten.“ (2)

Das ist auch bitter nötig. Schon 1992 stellte Heiner Barz in einem von der aej beauftragten Forschungsbericht fest: „Mit Ausnahme der Kirchennahen läßt sich feststellen, dass die Bezugnahme auf übergeordnete Sinnhorizonte so gut wie verschwunden ist: Leben als Erfüllung von Pflichten gegenüber Gott (gottgefälliges Leben) oder gegenüber der Gesellschaft (Eintreten für eine menschlichere Welt) wie auch das Schaffen bleibender (materieller  oder ideeller) Werte, - diese traditionellen Grundorientierungen trifft man nicht mehr an.“ (3) Vor diesem Befund wird klar, dass evangelische Jugendverbandsarbeit nur einen Ausschnitt von Jugendlichen und Konfirmand*innen erreichen wird und kann, denn ihr erstes und hervorstechendes Merkmal ist Freiwilligkeit und Selbstorganisation. Sie kann in Kooperationen mit der Konfirmandenarbeit Konfirmand*innen Lust und Geschmack auf mehr machen. Aber dieses „mehr“ muss außerhalb der Konfirmandenarbeit liegen, sonst gibt es keine Brücke, sondern nur eine gute an der Jugendarbeit orientierte Konfirmandenarbeit. Eine Jugendarbeit, die sich in der Ausbildung und Begleitung von Teamer*innen der Konfirmandenarbeit erschöpft, erreicht zwar viele Jugendliche, steht aber nicht vor der Lösung, sondern vor einem Dilemma, denn Konfirmandenarbeit ist Arbeit mit jungen Menschen, aber nicht unsere Jugendarbeit. 

 

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Weiterlesen in Heft 3/18