Florian Karcher: Herzschlag der Kirche!? Evangelisation als Kommunikation des Evangeliums

„Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen.“ (Jüngel 2001: 15)

Dieses Zitat des großen Theologen Eberhard Jüngel rückt Evangelisation in das Zentrum des Wesens der Kirche. In der Realität jedoch spielt der Begriff der Evangelisation in Kirche und Jugendarbeit eher eine Nebenrolle, in manchen Kreisen ist er sogar verpönt. Das mag vor allem daran liegen, dass Evangelisation sehr unterschiedliche Assoziationen hervorruft. Während einige dabei an große Massenveranstaltung mit feurigen Rednern und den Elementen der Manipulation und Massenpsychologie denken, erinnern sich andere eher an einen positiv besetzten Moment in der eigenen religiösen Entwicklung. Doch wenn Evangelisation für Kirche eine solch wichtige Rolle spielt, wie Jüngel es betont, dann muss mehr dahinter stecken, als mehr oder weniger gut gemachte Bekehrungsveranstaltungen. Dieser Beitrag möchte das Wesen und Anliegen von Evangelisation beleuchten und dafür werben ihr wieder einen zentralen Platz in der Kommunikation des christlichen Glaubens einzuräumen, sie zum Herzschlag von Kirche zu machen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Begegnung mit jungen Menschen.

Evangelisation ist mehr als „frommer“ Small Talk

Es gibt viele Formen der Kommunikation des Evangeliums. Innerhalb dieser vielfältigen Kommunikationsformen kommt der Evangelisation vor allem die Aufgabe zu, mit denjenigen, die die Botschaft des Evangeliums noch nicht gehört haben oder noch nicht angenommen haben, zu kommunizieren. Sie spiegelt also den tiefen Wunsch, ja das Herzensanliegen (um in Jüngels Bild zu bleiben) Gottes wieder, mit Menschen in Beziehung zu treten und folgt dem damit verbundenen Auftrag Gottes an seine Kirche. Evangelisation richtet sich also an die Noch-Nicht-Glaubenden. Sie ist in erster Linie nicht Kommunikation in die Kirche hinein, sondern sie lädt Außenstehende ein, den Glauben für sich zu prüfen. Somit ist sie zentraler Bestandteil von Mission. Mission und Evangelisation sind nämlich keineswegs gleichzusetzen, weil Mission sich auch anders ausdrücken kann, z.B. durch Diakonie. Der südafrikanische Missionswissenschaftler David Bosch formuliert es so: „Evangelisation kann definiert werden als diejenige Dimension und Aktivität der Mission der Kirche, die versucht, jeder Person an jedem Ort eine wirkliche Gelegenheit anzubieten, um unmittelbar durch das Evangelium zum expliziten Glauben herausgefordert zu werden“ (Bosch 2012: 626). So ist Evangelisation von der tiefen Sehnsucht geleitet, dass jeder und jede die Chance haben sollte eine eigene Haltung zur Botschaft des Evangeliums zu finden. Dies gilt auch und besonders für Jugendliche, deren Vorerfahrung mit Glaube völlig unterschiedlich sein kann:

Manche Jugendlichen sind im Kontext christlichen Glaubens aufgewachsen. Sie kennen die Begriffe und Geschichten, die Riten und Verhaltensmuster. Ähnlich wie die Geschichten der Märchenwelt oder die Serienhelden der Kindheit, ist der Glaube Teil ihres Alltag (gewesen), ob durch das Elternhaus oder den Kindergottesdienst. Doch ebenso wenig wie der Froschkönig oder die Biene Maja ist er nicht Teil ihrer Identität, Teil ihres Lebens im eigentlichen Sinne. Gerade in der Phase der Identitätsfindung brauchen sie eine Neukommunikation und eine Einladung den kindlichen Glauben zu reflektieren und zu überprüfen, ob Glaube Teil ihrer Identität werden darf und soll.

An manchen Jugendlichen ist das Thema Glaube „vorbeigerauscht“. Die sporadischen Kontakte, z.B. im Religionsunterricht, haben bisher zu keiner echten Auseinandersetzung geführt. Glaube und Religion waren irgendwie da, hatten jedoch keinen echten Bezug zum eigenen Leben. Für sie hat Evangelisation die Aufgabe deutlich zu machen, dass Glaube sie betrifft, etwas Persönliches ist, dass er darauf angelegt ist, sich dazu ins Verhältnis zu setzen.

Und immer mehr Jugendliche haben biografisch gesehen keine Berührungspunkte mit Glauben. Vielleicht haben sie davon gehört, dass es sowas wie Kirche gibt, aber selbst die zentralen Inhalte sind ihnen nicht bekannt. Im Osten Deutschlands sind sie sogar in der Mehrheit. Hier hat Evangelisation die Aufgabe tatsächlich Erstkommunikation zu sein; Jugendlichen zu erzählen, dass es einen Gott gibt und deutlich zu machen, dass dieser Gott sich für sie interessiert und Glaube als eine neue Option für das eigene Leben ins Gespräch zu bringen.

Zusammengefasst kann man sagen, dass Evangelisation eine konkrete Möglichkeit missionarischen Handelns neben anderen ist. Ihre Besonderheit ist, dass es ihr nicht nur um ein erstes Kennenlernen, um ein Vorstellen des Glaubens geht, sondern dass sie immer darauf ausgerichtet ist, dass Menschen eingeladen werden, selbst zu Glaubenden zu werden und zwar unabhängig von ihrer Vorgeschichte.

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