Galia Assadi und Arne Manzeschke: Dr. Maschine

Wie die digitale Technik unser Bild von Krankheit, Medizin und Therapie verändert

Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Veränderung. Wirft man einen Blick zurück auf die Anfänge menschlichen Lebens, zeigen sich Erscheinungsformen menschlichen Lebens, Weisen des Aussehens und des tätigen In-der-Welt-Seins, die mit der heutigen Vorstellung von Menschsein nur noch schwer in Einklang zu bringen sind. Über Jahrtausende hinweg durchlief die Menschheit verschiedene Stadien, innerhalb derer sich sowohl ihr Erscheinungsbild als auch ihre Lebensform mit und auf der Erde nachhaltig und unwiederbringlich veränderten. Und vermutlich ebenso alt wie die Veränderungen selbst ist das menschliche Nachdenken über die Bedeutung von Veränderungen.

Denken über Veränderung als anthropologische Konstante

Zu Beginn des abendländischen philosophischen Nachdenkens über Veränderung vor etwa  2500 Jahren standen, wie z.B. bei Heraklit, insbesondere Fragen nach den Wandlungen im Bereich der Natur im Vordergrund. So drehten sich die damaligen Debatten um Fragen nach deren Reichweite, Rhythmen und Bedeutung für das menschliche Leben. Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Denkweise über Veränderung, bedingt durch große ökonomische und politische Transformationen, wie die Umstellung von Subsistenzwirtschaft auf die bis heute dominierende kapitalistische Produktionsweise und die Französische Revolution 1789. Durch das Zusammenspiel von technischen Innovationen, politischen Umbrüchen und ökonomischen Veränderungen, wandelte sich auch das Selbstverständnis des Menschen, der sich fortan nicht nur als den Veränderungen der Natur unterworfenes Wesen, sondern als Gestalter des Planeten verstand. Das Bewusstsein über die neuartigen menschlichen Möglichkeiten, wirkte sich auch auf das Denken über Veränderung aus, das sich fortan auch Fragen nach den Veränderungen stellte, die bewusst durch den Menschen angestoßen und vorangetrieben wurden.

So kann trotz unterschiedlicher Perspektiven das menschliche Denken über Veränderung selbst als Konstante verstanden werden. Der Versuch, mittels der Unterscheidung zweier Zustände Orientierung zu stiften, kann somit als ein Charakteristikum menschlicher Existenz gedeutet werden. Doch welchen Regeln folgt unser Denken über Veränderung? Meist können wir diese nur konstatieren, wenn wir Phänomene über einen bestimmten Zeitraum hinweg verfolgen, womit unser Denken über Veränderung immer auch ein Denken mit und über Zeit ist. Anhand bestimmter Kriterien vergleichen wir hierbei den Status von Phänomenen in Hinblick auf Ähnlichkeit und Unterschied und kennzeichnen eine Differenz zwischen verschiedenen Status über die Zeit hinweg als Veränderung. Diese Wahrnehmung geschieht jedoch nicht neutral, objektiv und jenseits von (bewussten und unbewussten) Vorannahmen, sondern ist stets von bestimmten Wertvorstellungen begleitet, die unsere Wahrnehmung der Differenz von Beginn an prägen. Somit kann nicht nur das Denken über Veränderungen, sondern auch die zeitgleiche Bewertung dieser Veränderungen als menschliches Charakteristikum begriffen werden. Wenn wir demnach über Veränderung sprechen, tun wir dies stets in einer wertenden Weise, die die Wandlung entweder positiv-optimistisch betrachtet und als wünschenswerten Fortschritt begrüsst, oder dieser skeptisch bzw. ablehnend begegnet oder sie gar als Niedergang, Verlust und Verfall wahrnimmt.

Die Geschichte der Medizin als Geschichte der Veränderung

Überträgt man diese allgemeinen anthropologischen Reflexionen auf den Bereich der Medizin, zeigt sich, dass dieser nicht ausserhalb der Zeit stehend, sondern als sich historisch wandelndes Wissensgebiet und Praxisfeld verstanden werden sollte. Die Geschichte der Medizin ist eine Geschichte der Veränderungen des Wissens über Krankheitsbilder, der diagnostischen Methoden und der therapeutischen Praktiken, in deren Verlauf sich sowohl die Vorstellungen vom menschlichen Körper als auch die Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit (und wie diese zu erhalten bzw. zu heilen wären) immer wieder verändern. Diese geschichtlichen Wandlungen sind, wie z.B. Michel Foucault in Bezug auf die Anfänge der Anatomie (1) darlegte, oft eng verknüpft mit Veränderungen im Bereich der medizinischen Technik, so dass es lohnenswert ist, diese beiden Bereiche zusammen zu betrachten. Betrachtet man die moderne Medizin aus dieser Perspektive und berücksichtigt die aktuellen technischen Entwicklungen, erweist sich als eine der zentralen Fragen diejenige nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf die wissenschaftliche Disziplin ebenso wie die medizinische Praxis. Wie verändert sich demnach das medizinische Feld in Bezug auf seine Erkenntnismethoden, seine Behandlungspraktiken und seine Kommunikationsformen im informatischen Zeitalter?

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