Gudrun Quenzel: Egotaktiker?

Wie die Shell Jugendstudie die junge Generation beschreibt

Heute werden jungen Menschen hohe Leistungen beim Aufbau einer eigenen Identität und bei der Gestaltung und Sinngebung des eigenen Lebens abverlangt. Jugendliche sind in ihrer Lebensgestaltung – wie Erwachsene auch – immer weniger durch kulturelle, religiöse oder regionale Vorgaben und Traditionen festgelegt. Was aus einem wird, welches Leben man lebt, hängt immer weniger davon ab, welcher sozialen Schicht, welcher Religion, welchem Geschlecht oder welcher Familie man angehört. Jugendliche können über Schule, Ausbildung, künftigen Beruf, Freunde, Partner, Wohnort und Familiengründung weitaus freier als früher entscheiden, sie müssen ihre Entscheidungen aber auch stärker persönlich gestalten und verantworten. Das gelingt nicht allen Jugendlichen gleich gut.
 
Kompetenz der Selbststeuerung

Was Jugendliche deswegen heute mehr als die Angehörigen der vorhergehenden Generation benötigen, ist die Kompetenz der Selbststeuerung. Die Anforderung, soziale Beziehungen und Bindungen zu organisieren, hat sich im Lebenslauf zeitlich ebenso nach vorne verlagert wie das selbstständige wirtschaftliche und konsumorientierte Handeln und die Organisation der Freizeit.

Die Zeit, die Jugendliche in schulischen Institutionen verbringen, hat sich demgegenüber kontinuierlich ausgedehnt. Außerdem sind junge Leute  immer länger  finanziell von ihren Eltern abhängig. Frühe Selbstständigkeit in den Bereichen Konsum, Freizeit und Freundeskreis steht so einer späteren finanziellen Autonomie durch die Aufnahme einer beständigen Erwerbstätigkeit und – daran häufig gebunden – der ebenfalls späteren Gründung einer eigenen Familie gegenüber. Zudem wachsen junge Menschen heute in einer Situation auf, in der klar vorgegebene Normen und Werte, feste Zugehörigkeiten zu Milieus, kalkulierbare und klare Abfolgen von persönlichen Lebensschritten und eindeutige soziale Vorbilder weitgehend fehlen. Sie stehen damit vor der Herausforderung, in einer sich wandelnden und zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft mit einer starken Tendenz zur Individualisierung eine stabile Persönlichkeit herauszubilden. Angesichts der Vielfalt an Handlungsanforderungen und Handlungsalternativen ist dies keine einfache Aufgabe.

Denn die flexible und selbstbewusste Akzentsetzung der Lebensführung, die eine von eigenen Interessen geleitete Gestaltung der Lebenswelt möglich macht, setzt eine breite Palette von sozialen Kompetenzen und persönlichen Fähigkeiten voraus. Wichtig hierfür sind eine realistische Einschätzung der eigenen Ressourcen und Potenziale, ein guter Blick für sich ergebende Chancen und das Selbstbewusstsein und der Mut, diese dann auch zu ergreifen. Im Englischen spricht man deswegen auch von „Doing Adolescence“, um die Anforderungen an die aktive Gestaltung dieser Lebensphase und der eigenen Identität zu betonen. Jeder einzelne Jugendliche ist in diesem Sinne die selbstverantwortliche Planungsinstanz des eigenen Lebens, ausgestattet mit großen Freiheitsgraden der Gestaltung – wobei er gleichzeitig auch unter Druck steht, die Freiheitsgrade tatsächlich ausschöpfen zu können und dafür ganz persönliche Wege und Lösungen zu finden.

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Weiterlesen im Heft 1/16