Hanne Lamparter / Micheal Pohlers: Wie gelingt die kirchliche Jugendarbeit mit Kindern und Jugendlichen?

Wann ist kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erfolgreich? Wie kann hier Erfolg definiert werden? Welche messbaren Kriterien gibt es? Und welches ist das Ziel, das es zu erreichen gilt? Vor diesen Fragen standen die Mitarbeitenden der Studie „Jugend gefragt!“ (Pohlers et al. 2016). Die in den Jahren 2015 und 2016 durchgeführte Untersuchung vertieft eine erste Studie aus dem Jahr 2013. Dort war zunächst unter dem Titel „Jugend zählt!“ (Ilg/Heinzmann/Cares 2014) quantitativ erfasst worden, wie viele Menschen in der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg mitarbeiten oder teilnehmen, in welchen Bereichen sie sich engagieren und welche Angebote sie annehmen. Aus diesen statistischen Daten ergab sich bei der Vorstellung in den Landessynoden die Frage, warum in einigen Gemeinden eine vielfältige und (anhand der Zahlen) vitale Arbeit vorhanden war, während es andernorts schwierig war, kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen überhaupt zu beginnen. Um dies herauszufinden, wurden in 30 evangelischen Kirchengemeinden in Baden und Württemberg Verantwortliche für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gefragt, was zum Gelingen der Arbeit vor Ort beiträgt. Ausgewählt wurden dabei Gemeinden, die sich in der quantitativen Studie als besonders „jugendaktiv“ ausgezeichnet hatten – die Befragung ging also von gelingenden Erfahrungen aus.

Die Vielfalt der Arbeit muss gewürdigt werden

Zum einen wurde dann jedoch bei den Besuchen in den Gemeinden deutlich, dass die Art der Angebote sehr verschieden ist. Neben Andachten, Gottesdiensten, Bibelkreisen und anderem explizit „religiösen Programm“, gehören auch Grillabende, gemeinsames Fußballschauen, Sporttreiben, Tanzen, Wanderungen, Kochen und vieles mehr dazu. Einige wollen vor allem offene, niederschwellige Angebote: „Viele Jugendliche sehen ihre Klassenkameraden nicht bei uns in einem klassischen Bibelkreis, wo hauptsächlich Bibel gelesen wird oder über Glaubensthemen diskutiert wird, aber zu solchen Veranstaltungen, was weiß ich, irgendein Kochduell oder einfach mal Volleyballspielen oder Schlittschuhfahren oder sonst irgendetwas, da können sie sie mitnehmen.“ (Jugend gefragt, 133). Andere wünschen sich jedoch, gerade die Glaubensfragen weiter zu vertiefen. Gemeinsames Gebet, Lobpreiszeiten und Bibelarbeiten sind ihnen wichtig (vgl. Jugend gefragt, 128). Es ist nicht möglich, Erfolg an einem bestimmten, spezifischen Angebot zu messen. Die Vielfalt der Arbeit muss gewürdigt werden. Zudem sind die natürlichen Voraussetzungen und Prägungen der Gemeinden sehr unterschiedlich. Ob Kleinstadt, Universitätsstadt, Brennpunktviertel oder Schwarzwalddorf, ob pietistisch geprägt oder liberal eingestellt, ob Einzelgemeinde oder Gesamtkirchengemeinde, ob Zusammenarbeit mit einem Jugendverband oder selbstständig, ob in guter ökumenischer Partnerschaft oder nicht: Die Voraussetzungen für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind sehr verschieden. Gelingende Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wurde dennoch in den unterschiedlichsten lokalen Settings vorgefunden. Mancherorts war die Arbeit stark von Verbänden geprägt und orientiert sich an „klassischen“ Modellen wie z.B. Jungscharen. Andernorts bestand die Arbeit aus einem offenen Treff im Brennpunktviertel, der vor allem von muslimischen Jugendlichen besucht wurde.

Die Suche nach übergeordneten Erfolgskriterien

Kann es, im Wissen um die jeweils spezifische Situation und die große inhaltliche Bandbreite der Gemeinden vor Ort, übergeordnete Kriterien geben, die eine vitale, erfolgreiche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beschreiben?
Kriterien lassen sich oft von den Zielen ableiten, die man erreichen will. Viele der Befragten sprachen eines oder mehrere der fünf im Folgenden aufgeführten Ziele an:

1.    Die Mitarbeitenden aller befragten Gemeinden betonten die Relevanz christlicher Glaubensinhalte. Die einen sprachen davon, in Kinderkirche und Kinderbibelwochen die biblischen Geschichten bekannt machen zu wollen. Viele Jugendliche wünschten sich, den Glauben als alltagsrelevant und als Orientierung im Leben erfahren zu dürfen. Für andere Verantwortungsträger stehen diakonische Aspekte im Vordergrund. In welcher Ausprägung die christlichen Inhalte zur Sprache kamen, war unterschiedlich. Eine sich selbst säkularisierende Kirche wünscht sich aber niemand aus den befragten Gemeinden (vgl. Jugend gefragt, 128 ff).

2.     Gute Gemeinschaft und tiefe Freundschaften sowie das gemeinsame Unterwegssein wurden beinahe ebenso häufig genannt. „In der Gemeinschaft fühl ich mich wohl, da will ich bleiben“, erzählte ein Ehrenamtlicher. Wichtig sei es, viel Zeit miteinander zu verbringen, „über alles reden“ zu können und auch Schwierigkeiten ansprechen und Probleme konstruktiv lösen zu können (Jugend gefragt, 129).

3.     Oft war von einem Freiraum die Rede, der evangelische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen prägt. Viele Jugendliche wünschen sich einen Raum zur Entfaltung, sie sehnen sich nach einem Raum, in dem sie sich selbst erfahren können – ganz ohne Leistungsbeurteilung und Druck, den sie sonst vielerorts erleben. Ein solcher leistungsfreier Raum, in dem Gemeinschaft und gegenseitige Wertschätzung geachtet und gelebt werden, kann gerade in Zeiten zunehmender schulischer Anforderungen und vermehrter Individualisierung einen gesellschaftlichen Gegenakzent setzen (vgl. Jugend gefragt, 130 & 138).

4.     Etliche Befragte meinten, dass das Willkommen- und Angenommensein die christliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen charakterisiere. Jede und jeder müsse auf seine Art wertgeschätzt und auch mit seinen Schwächen willkommen sein. „Inhaltlich liegt der Schwerpunkt auf der Freiheit und auf diesem ‚So wie du bist, bist du in Ordnung‘“, beschreibt eine Pfarrerin das Profil der Arbeit und fährt fort: „Wenn man mich fragt, was das Evangelische oder Christliche an unserer Freizeit ist, dann denke ich, dass es doch vor allem die Freiheit ist, die man bei uns spüren kann und auch das Angenommensein“ (Jugend gefragt, 130-131). Junge Menschen können hier ein Stück gelebte Rechtfertigungslehre erfahren: Das Angenommensein als Gottes geliebtes Gegenüber, ohne sich beweisen zu müssen (vgl. Jugend gefragt, 130 & 138).

5.     Mancherorts ist die Beschäftigung mit gesellschaftlichen Themen und das Erlernen eines verantwortungsvollen Verhaltens ein wichtiger Teil der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen: Themen wie Gerechtigkeit, Umweltschutz, die Eine-Welt-Arbeit oder Debatten um ethische Themen wie Organspende oder Stammzellenforschung wurden benannt. Es sei Ziel der kirchlichen Arbeit, christliche Werte wie Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe zu vermitteln (vgl. Jugend gefragt, 131). Diese Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch können die verschiedenen Ziele angesichts der Vielfalt an Voraussetzungen, Erwartungen und Profilen nicht in eine grundsätzliche Rangfolge oder Wertung gebracht werden. Vielmehr ist gerade diese Vielfalt und auch die Unterschiedlichkeit der Ziele, die alle eine Berechtigung haben, eine große Bereicherung und Chance, um viele Menschen zu erreichen.

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