Ingo Dachwitz: Das Ich als Marke

Identität im digitalen Zeitalter

Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, dass das US-amerikanische Time Magazine „Dich“ zur Person des Jahres 2006 kürte; den vernetzten Internetnutzer, dem dank partizipativer Kommunikationstechnologie (damals: „Web 2.0“) die Zukunft gehöre. „Yes, you. You control the information age“, stellte das Magazin auf dem Titel klar. Neue Produkte heißen heute zwar nicht mehr unbedingt iPhone, sondern Google Glass oder Apple Watch und neue Dienste nicht mehr MySpace oder Youtube, sondern Snapchat oder Jodel – der Hype um das Individuum ist jedoch ungebrochen. User Centered Design gilt als der Königsweg zur Konzeption neuer Informations- und Kommunikationstechnologie, nach wie vor werden sekündlich unvorstellbare Mengen User Generated Content hochgeladen, Personalisierung macht die Nutzung des Internets bequemer und auf persönlichen Daten beruhende Profile und Prognosen sind das dominante Geschäftsmodell der Internetwirtschaft. Am sichtbarsten manifestiert sich die zentrale Rolle des Ich in der Digitalkultur wohl noch in einem bereits ausgiebig diskutierten Phänomen: Dem Selfie. Junge wie ältere Menschen setzen sich selbst vor beliebiger Kulisse (Orte, Tiere, andere Menschen) in Szene und teilen eine Auswahl dieser modernen Selbstporträts über digitale Medien.

In einer Ästhetik der Beiläufigkeit präsentieren wir mit Selfies Ausschnitte unseres Lebens: Wir zeigen, wo wir sind, was wir essen, mit wem wir unterwegs sind und nicht zuletzt, wie (gut) wir aussehen. Smartphones und Netzwerkplattformen bilden die Infrastruktur dieser inzwischen nicht mehr ganz neuen Kommunikation des Ich. Vom Web 2.0 sprechen in diesem Zusammenhang heute nur noch die wenigsten, stattdessen ist der Begriff Social Media zum beliebtesten Container für die große Bandbreite partizipativer Kommunikationsdienste geworden, die mehr denn je integraler Bestandteil jugendlicher Lebenswelten sind. Als Sammelbegriff in einer sich immer noch schnell verändernden Medienlandschaft bildet er dabei ebenso wenig eine klar definierte Mediengattung wie die Rede vom Web 2.0. Schließlich werden inzwischen so unterschiedliche Dienste wie Facebook, Youtube, Blogs, Instagram, Pinterest, Younow, Persicope, Slideshare, Whatsapp, Jodel oder Snapchat unter diesem Dach zusammengefasst und auch klassische journalistische Online-Angebote integrieren inzwischen Funktionen, die als charakteristisch für Social Media gelten, etwa die Einbindung von Feedback oder die Möglichkeit zum Erstellen von Profilen. Gleichzeitig werden auf der zumindest für alle ab 20 Jahren immer noch zentralen Social-Media-Plattform Facebook immer weniger echte nutzergenerierte Inhalte gepostet und immer mehr professionell produzierte Inhalte verbreitet. Kommunikationswelten sind heute hochgradig personalisiert.

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Weiterlesen im Heft 1/16