Interview mit Prof. Perry Schmidt-Leukel: „Religionen ähneln einander in ihrer internen Vielgestaltigkeit.“

Ein Gespräch mit Professor Perry Schmidt-Leukel über Gottesbilder in den verschiedenen Religionen, wie religiöse Struktur aus kleineren Elementen zusammengesetzt ist und wie sich sein Gottesbild im Laufe des Lebens verändert hat.

„Religionen ähneln einander in ihrer internen Vielgestaltigkeit.“ 

Ein Gespräch mit Professor Perry Schmidt-Leukel über Gottesbilder in den verschiedenen Religionen, wie religiöse Struktur aus kleineren Elementen zusammengesetzt ist und wie sich sein Gottesbild im Laufe des Lebens verändert hat.

baugerüst:  Wie sieht Ihr persönliches Gottesbild aus?

Perry Schmidt-Leukel:  Schwankend. Zum einen ist für mich ganz entscheidend, dass mit Gott eine Wirklichkeit gemeint ist, die sich jedem menschlichen Begreifen und Bild entzieht. Das ist ein wichtiger Grundsatz, den Sie in allen großen Religionen finden. Im Judentum und Christentum: Du sollst dir kein Bild machen. Das bezieht sich nicht nur auf gemalte und gemeißelte Bilder, sondern auch auf geistige Bilder. Wie Augustinus so schön sagte: Wenn du meinst, du hast Gott erkannt, dann ist es nicht Gott, den du erkannt hast. Das ist sehr fundamental. Es wird auch von den östlichen Religionen und vom Islam bekräftigt. Es ist für mich ganz persönlich wichtig, dass sich das Wort „Gott“ auf eine Wirklichkeit bezieht, die sich nicht einfangen lässt. Aber natürlich, im persönlichen Leben spielen Bilder eine Rolle. Da kommt bei mir ein ganzes Sammelsurium ins Spiel. Das sind zum einen personal geprägte Bilder, denn ich bin vom Christentum geprägt. Und im Christentum dominieren personale Gottesbilder. Aber ich bin auch sehr stark vom Buddhismus beeinflusst und im Buddhismus sind im-personale Bilder prominent, wenn auch nicht in all seinen Formen. Auch hier gibt es Richtungen, in denen die personale Seite dominiert. Das wechselt auch bei mir entsprechend.

baugerüst:  Wie hat sich Ihr Gottesbild im Laufe Ihres Lebens verändert?

Schmidt-Leukel:  Ich bin in einem katholischen, aber eigentlich gemischten Elternhaus aufgewachsen. Damals gab es aber noch keine ökumenischen Trauungen. Meine Mutter war evangelisch und musste vor der Eheschließung konvertieren, weil die katholische Kirche meine Eltern sonst nicht getraut hätte. Für meinen Vater kam nichts anderes außer einer katholischen Eheschließung in Frage. Ich bin in einem entsprechenden Kinderglauben aufgewachsen, doch dann mit etwa 13 Jahren Atheist geworden. Das blieb so bis ich 18 war. Durch Begegnungen mit evangelikal-pentekostalen Christen bin ich wieder neu auf das Christentum aufmerksam geworden. Daraufhin habe ich erstmals das Neue Testament bewusst gelesen. Das war eine tiefgehende Erfahrung und hat mich verändert. Ich bin wieder neu zum Glauben gekommen und habe mich entschieden, Theologie zu studieren. Das Theologiestudium hat einiges zur Versachlichung meiner Glaubensvorstellungen beigetragen. Parallel habe ich Philosophie studiert und beide Studien abgeschlossen. Im Philosophiestudium habe ich schnell den Schwerpunkt auf buddhistische Philosophie gelegt. Im Theologiestudium hatten wir studienbegleitend spirituelle Übungen, die von einer Nonne geleitet wurden, die zur zweiten Generation der christlicher Zen-Bewegung gehörte. Diese Art der Spiritualität war für mich ziemlich neu. Sie hat uns Zen-Sesshins als Exerzitien angeboten und ich habe Meditation als sehr hilfreich erlebt. Im Philosophiestudium hatte ich in München eine buddhistische Dozentin aus Vietnam, die Kurse in buddhistischer Philosophie gab. Durch diese beiden außergewöhnlichen Frauen konnte ich mich intensiv mit buddhistischer Spiritualität befassen. Das hat mich bis heute geprägt.

baugerüst:  Sie haben dann festgestellt, dass sich die Religionen mehr ähneln, als viele das wahrhaben wollen.

Schmidt-Leukel:  Das ist ein kompliziertes Thema, das mich mein Leben lang beschäftigt hat. Ich habe mich habilitiert für Theologie und Religionswissenschaft. Ich habe beides immer miteinander verbunden, weil mich religionswissenschaftlich interessiert hat, wie eine jede Religion damit umgeht, dass sie nicht alleine auf der Welt ist. Und theologisch haben mich alle Fragen des Dialogs und der Beziehungen zwischen den Religionen stark interessiert. Am Anfang primär die zwischen Christentum und Buddhismus, dann zunehmend auch die Beziehungen zu und zwischen den anderen Religionen. Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten viel gearbeitet und publiziert zu Beziehungen zwischen Buddhismus und Islam oder Judentum und Buddhismus oder Buddhismus und Hinduismus. Dabei kommt natürlich die Frage auf, wie es denn um die Unterschiede zwischen den Religionen steht. Es gibt hier zwei Extrempositionen: An einem Ende des Spektrums finden Sie Menschen, die sagen: „Alle Religionen sind im Prinzip gleich, die Dinge heißen jeweils nur anders.“ Das klingt für mich nicht sehr überzeugend. Am anderen Ende des Spektrums steht genau das Gegenteil: „Jede Religion ist ein eigenes Universum für sich.“ Nach dieser Auffassung gibt es gar keine Verständnisbrücken. Auch das ist nicht überzeugend. Denn wie will man das wissen, wenn es angeblich gar keine Verständnisbrücken gibt? Derjenige, der so etwas behauptet, müsste für sich ja in Anspruch nehmen, er hätte alle Religionen verstanden. Das wäre dann ein Selbstwiderspruch. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen diesen Positionen. In den letzten fünf Jahren ist mir klar geworden, dass mein eigenes Denken immer in eine Richtung gezielt hat, die ich nicht richtig auf den Begriff bringen konnte. Das kann ich jetzt besser mithilfe der fraktalen Theorie.

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Foto: Universität Münster