Interview mit Tilman Moser: "Ohne Publikum kein Held."

Ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker Tilman Moser über Helden und Heldenverehrung, über die Verführung durch und die Sehnsucht nach Helden sowie über den Liedtext: "Mir nach, spricht Christus unser Held."

"Mir nach, spricht Christus unser Held."

Ein Gespräch mit dem Psychoanalytiker Tilman Moser über Helden und Heldenverehrung, über die Verführung durch und die Sehnsucht nach Helden sowie über den Liedtext: "Mir nach, spricht Christus unser Held."

baugerüst: Mit dem Helden ist Heldenverehrung verbunden und da beginnt schon das Dilemma. Wann wird der Held zum Helden?

Moser: Helden kennen wir viele: Kriegshelden, Märtyrer, Helden der Nächstenliebe, in der DDR gab es die Helden der Arbeit. Aber eigentlich beginnt es schon viel früher. Es gibt die kleinen Helden. Wenn der Sprössling zum ersten Mal aufsteht, jubeln die Eltern: Ach, was bist du für ein kleiner Held. So entsteht Selbstbewunderung, aber auch Größenfantasie. Das setzt sich im Kindergarten und in der Schule fort. Es ist eine anthropologische Veranlagung, die den Menschen zum Helden treibt: Ich bin toll, ich kann etwas. Und ich werde gefeiert.

baugerüst: Der Held braucht also ein Gegenüber.

Moser: Zum Helden gehört unabdingbar das Publikum. Ohne Publikum kein Held. Das gilt in einem kleinen Verein genauso wie für eine ganze Nation, die dem Helden zu Füßen liegt oder ihn anfeuert, bis hin zur Anbetung und Vergottung. Oder den Helden vielleicht auch verdammt, ihn in Denkmälern verewigt oder versucht ihn zu vergessen.

baugerüst: Welche Helden erschafft sich die heutige Gesellschaft?

Moser: Stars, Fußballhelden, Königshäuser, Bühnenstars. Das Heldenhafte zeigt sich nicht nur durch ihre Berühmtheit oder durch ihr Können, sondern auch durch die oft gigantische Heldenhaftigkeit ihrer Gehälter.

baugerüst: Ohne Helden geht es wohl nicht? Warum stehen die so hoch im Kurs?

Moser: Helden habe eine Vorbildfunktion, gleich ob in der Schulklasse, in der Clique, im Sportverein oder in der Gesellschaft. Menschen, die sich trauen, etwas Neues, etwas Besonderes, auszuprobieren oder zu verwirklichen erhalten eine solche Zuschreibung. Dann werden sie vom Publikum mit Verehrung gefüttert und stürzen ab, wenn ihre Zeit vorbei ist oder sie Unrecht getan haben.

baugerüst: Von Brecht stammt der Satz: „Weh dem Volk, das Helden braucht.“

Moser: Ja, Nationen fallen immer wieder darauf rein und ziehen mit leuchtenden Helden in den Krieg. Heldentum bedeutet auch, dass ganze Gruppen oder Völker verführt werden können. Viele Kriege sind Produkte von größenwahnsinnigen Menschen, die sich gerne als Helden darstellen wollen.

baugerüst: Braucht der Mensch dieses Aufschauen zu einem Helden? Warum himmeln Menschen andere Menschen an, unterwerfen sich ihnen?

Moser: Ich glaube Aufschauen, im Extrem zu Göttern oder Gott ist eine anthropologische Konstante. Umgekehrt werden wir ja selber auch gerne zum Helden. Ich bin bei Nonnen in den Kindergarten gegangen und wir mussten das Holz zum Heizen in den dritten Stock tragen. Die Nonnen nannten uns dann kleine Helden und wir haben uns immer mehr Holz aufbürden lassen und sind immer schneller diese drei Stockwerke hochgelaufen, um diese Heldenzuschreibung zu bekommen.

baugerüst: Einmal zum Helden aufgestiegen, kann sich der Held dann alles erlauben?

Moser: Ja, dieser kann motivieren und unterdrücken wenn er über Gewalt, Macht oder Terror verfügt. Leider gibt es beides und auch zusammen in einer Person, z.B. bei Stalin und Hitler. Beide wurden verehrt, fast in gläubiger Weise und mit der Zeit wurde vielen deutlich, der Held führt uns ins Verderben. Selbst ein positiver Held, der wie ein Idol verehrt wird, kann durch Größenwahn andere ins Verderben führen.

baugerüst: Hitler wurde anfänglich von vielen Menschen, auch Jugendlichen angehimmelt und verehrt.

Moser: Heute können wir kaum noch verstehen, warum Hitler eine solche Anziehungskraft auf die Menschen ausgeübt hat. Aber die Armut, die Sorge um die Arbeit, auch der verlorene Erste Weltkrieg, das war der Nährboden, auf dem plötzlich irgendwelche Helden wachsen konnten, die vorgaben, die Nation aus der Not herausführen zu können.

baugerüst: Warum aber diese bedingungslose Verehrung?

Moser: Hitlers Schreien, sein Gebrüll, signalisierte, ich weiß, dass ich ein Sieger bin und ich werde euch führen. Diese Ausstrahlung, die Helden in verschiedener Form produzieren, ist das Verführerische und steckt andere an. Der Nationalsozialismus war eine Krankheit der Ansteckung. Man sah, dass Tausende die Arme hoben, wenn er kam, da konnten sich dann immer weniger dieser Verehrung ja diesem Rausch entziehen. Heldentum als kollektive Sehnsucht erzeugt auch ihre Helden. Und die großen Helden wissen, dass sie die Massen süchtig machen müssen. Da ist das ambivalente Verhältnis von Held und Publikum.

baugerüst: Der Held muss also von sich überzeugt sein, darf keinen Zweifel haben.

Moser: Der gefährliche Held muss einen Allmachtwahn haben, wenn er die Massen beherrschen will. Daneben gibt es aber auch die Alltagshelden, die durch ihre mutigen Taten zum Vorbild werden, die stillen Helden, die Helden der Nächstenliebe oder auch Helden der Warnung vor Unheil und Gefahr.

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Weiterlesen im Heft 4/16