Isolde Aigner: Wann, wenn nicht jetzt?!

Zur Notwendigkeit einer Kritischen Politischen Jugendbildung gegen Rassismus und für Solidarität2015 gab es eine massive Zunahme an Rassismus und Gewalt gegen Geflüchtete (1). Während Medien rechte Gewalt einerseits verurteilen, sprechen sie andererseits vielfach über eine „angebliche ‚Überschreitung der Belastungsgrenze’ und die Erzeugung eines Staatsnotstands durch „Flüchtlingsströme“, was dazu beitrage „die Situation zu verschärfen und Menschen als bedrohliche Massen wahrzunehmen“ (2). Globale Fluchtursachen werden hingegen kaum beleuchtet. In der Bevölkerung gibt es eine große Hilfsbereitschaft gegenüber Geflüchteten – diese wird jedoch oftmals als Gegenentwurf zu rechter Gewalt konstruiert („helles und dunkles Deutschland“) mit der Gefahr rassistische Positionen in der „Mitte der Gesellschaft“ zu verdunkeln.

Im Zuge dieser Entwicklung ist eine politische Jugendbildung zur (Mit)Gestaltung eines Gesellschaftsentwurfs, der sich Rassismus entschlossen entgegenstellt, wichtiger denn je! Hierfür ist die Auseinandersetzung mit politischen Einstellungen Jugendlicher sowie gesellschaftlichen Verhältnissen und den daraus entstehenden Herausforderungen unabdingbar, um auf dieser Grundlage Perspektiven einer Kritischen Politischen Bildung gegen Rassismus und für Solidarität abzuleiten.

Was bewegt Jugendliche?
Gesellschaftliche Herausforderungen und Einstellungen


Gegenwärtig zeichnet sich eine zunehmende sozio-ökonomische Ungleichheit in der Gesellschaft ab, die mit unsichereren und/oder prekären Erwerbsverläufen und einer gleichzeitigen Orientierung an Effizienz und Nützlichkeit (3) einhergeht. Junge Menschen sind demnach mit brüchigen und ungewissen Zukunftsperspektiven konfrontiert, die zu einer Angst vor prekären Lebenslagen (als ‚Generationenerfahrung’) führen wie der Jugendforscher Richard Münchmeier in seinem Aufsatz: Jugend im Spiegel der Jugendforschung (2008) erklärt. Gleichzeitig wird diese kollektiv erlebte Angst jedoch individualisiert: Junge Menschen begreifen ihre Situation als persönliche Herausforderung, haben zugleich das Gefühl wenig bewirken zu können und entwickeln infolgedessen eine selbstbezogene und pragmatische Grundhaltung (4) nach dem Motto: „Ich kann eh nix daran ändern, dann versuche ich lieber für mich das Beste rauszuholen“. Hier besteht die Gefahr von (fortschreitenden) Entsolidarisierungsprozessen.

Hinsichtlich der politischen Einstellungen weist die Studie „Deutsche Zustände“ (2006) darauf hin, dass von einer stärkeren Belastung junger Menschen durch rassistische Einstellungen kaum die Rede sein kann. Besonders hoch ist hingegen ein Ungleichwertigkeitsdenken, (z.B. durch Abwertung langzeitarbeitsloser Menschen) (5), welches mitunter der „Illusion der Aufrechterhaltung einer Kontrolle über die Lebensgestaltung“ dient – so die Rheingold-Jugendstudie (2011).Gleichzeitig tragen s.g. „interkulturelle Kontakträume“ (in Schule, Sportverein, Jugendeinrichtung etc.) zu einer interkulturellen Offenheit junger Menschen bei (6). Jugendliche setzen sich zudem intensiv mit dem Thema Flucht auseinander, wollen sich hier engagieren (oder tun es bereits). Hier können sie erleben, dass sie ernst genommen und gebraucht werden und etwas verändern können - auch Vorbehalte können so schneller abgebaut werden (7).

Es zeichnet sich also ein komplexes Spannungsfeld ab: Gegenwärtige gesellschaftliche Verhältnisse und damit verbundene Bewältigungsstrategien junger Menschen bergen die Gefahr von Entsolidarisierungsprozessen. Zugleich fördern viele interkulturelle Kontakträume ein interkulturelles Miteinander. Viele Jugendliche wollen sich außerdem derzeit für Geflüchtete engagieren. Wie kann eine politische Jugendbildung aussehen, die an diese Herausforderungen, aber auch Chancen anknüpft?

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Weiterlesen im Heft 1/16