Kai Unzicker: Der Kitt der Gesellschaft

Wie aus einer Vielheit eine Einheit wird

Deutschland verändert sich und die Sorge um den Zusammenhalt ist groß: Wie verändern Einwanderung und der Wandel der Lebensstile das Land und was bedeutet das für das soziale Miteinander?

Im Allgemeinen erachten die meisten Menschen das Grundgerüst des Zusammenlebens für selbstverständlich und nicht der Rede wert. Allein dass sich Menschen überhaupt darüber Gedanken machen, was die Teile einer Gesellschaft zusammenhält, ist deshalb bereits interessant.  Wer an den Teamgeist appelliert, den treibt meist die Sorge um, dass es mit diesem nicht so weit her sei. Das weiß jeder, der Mannschaftssport betreibt. Für die Qualität des Miteinanders  mag es deshalb auch kein gutes Zeichen gewesen sein, dass in den Programmen der großen Parteien bei der letzten Bundestagswahl das Wort Zusammenhalt Konjunktur hatte: 16 mal erwähnten es CDU/CSU und 14 mal die SPD. Zusammenhalt, so scheint es zumindest, entsteht nicht mehr von allein, sondern muss beschworen werden und bedarf der politischen Unterstützung. Im Rückblick auf das Jahr 2015 fällt die „Zauberformel“ vom Zusammenhalt, der wahlweise erhalten, gestärkt oder gefördert werden müsse, besonders ins Auge. Vor allem zwei Umstände haben zu ihrer Hochkonjunktur beigetragen: Zunächst waren es die geschätzt rund eine Millionen Flüchtlinge, die aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan, aus Afrika und anfangs auch noch vom Balkan nach Deutschland kamen, die Fragen des Zusammenhalts, von Solidarität und Engagement auf die Tagesordnung gesetzt haben.

Die Terroranschläge von Paris und die damit verbundenen Ängste haben die Diskussion um den Zusammenhalt ebenfalls befeuert: Wie soll man einerseits der unsichtbaren Bedrohung durch hinterhältigen Terrorismus auch gesellschaftlich sonst begegnen, als durch Solidarität und Geschlossenheit? Der externe Feind schweißt die Gesellschaft zusammen. Andererseits befördert jedoch die Angst vor islamistischen Terroristen, die die Bevölkerung unterwandern, das Misstrauen und Abgrenzungstendenzen von allem Fremden. Zusammenhalt entsteht so auf Kosten derer, die nicht dazugehören. Für eine vielfältige Gesellschaft wie die unsrige, kann Zusammenhalt, der durch Homogenität hergestellt wird, keine Alternative sein. Es geht, wie Theodor Adorno es einmal ausgedrückt hat, vielmehr darum ohne Angst verschieden zu sein. Gleichwohl muss man eingestehen, dass viele Menschen den Veränderungen beunruhigt gegenüberstehen. Nicht ohne Grunde ist in den letzten Monaten so häufig vom besorgten Bürger die Rede.
 

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Weiterlesen im Heft 1/16