Matthias Jena: Die Reichen werden reicher, die Armen immer ärmer - Eine Kritik am Steuersystem, an der ungerechten Vermögensverteilung und eine Forderung nach mehr sozialer Infrastruktur

Trotz hervorragender wirtschaftlicher Lage sind nach Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes etwa 4,4 Millionen Kinder in Deutschland von Armut betroffen. Armut bedeutet: beengtes Wohnen, wenig Geld für gesunde Ernährung, Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die existierenden Maßnahmen reichen nicht aus, um Kinderarmut zu vermeiden, und Armutsfolgen werden bisher nur lückenhaft erforscht.

Der Gesundheitsminister Jens Spahn behauptet, wer von Hartz IV lebe, sei nicht arm. Er verdient das 37-fache dessen, was Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger als Regelsatz bekommen. Das ist unerträglich. Das ist zynisch und schwer erträglich. 
Hartz IV ist ein Unglück. Essen und Trinken für 4,85 Euro am Tag – da muss man kein Mathematiker sein, um zu erkennen, dass das mit vernünftiger Ernährung nichts zu tun hat. Die Millionen Menschen, die in Deutschland von Hartz IV leben müssen, werden oft als „sozial schwach“ bezeichnet. Das ist eine Beleidigung! Jemand, der keine Arbeit hat, oder keine, von der er und seine Familie leben können, der ist arm, nicht sozial schwach. Sozial schwach ist ein Staat, der so etwas zulässt; ein Staat, der nicht alles tut, um Menschen aus dieser Armut herauszuholen. Und sozial schwach ist ein Gesundheitsminister, der nicht weiß, was Armut ist. Diese Armut darf es in einem so reichen Land nicht geben. Knapp 1,6 Millionen Menschen gelten allein in Bayern als armutsgefährdet (Stand 2016, neuere Zahlen gibt es nicht). Damit ist die Armutsgefährdung zwischen 2006 und 2016 von 10,9 auf 12,1 Prozent der Bevölkerung gewachsen.

Mehr als 200.000 Menschen in Bayern sind regelmäßig auf die Essensspenden der Tafeln angewiesen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde, die Tafeln und die vielen dort engagierten Ehrenamtlichen machen tolle Arbeit, ihnen gebührt unser großer Dank. Mit ihrer wunderbaren Arbeit sorgen sie dafür, dass in Bayern niemand hungern muss. Aber dass es in Bayern immer mehr Menschen gibt, bei denen das Geld nicht einmal mehr fürs Essen langt, das ist eine Schande in so einem reichen Land. Die Staatsregierung hat beschlossen, die Tafeln besser zu unterstützen. Aber angesichts der ausufernden prekären Beschäftigungsverhältnisse und des wachsenden Niedriglohnsektors wäre es sinnvoller, endlich für auskömmliche Löhne auf dem bayerischen Arbeitsmarkt zu sorgen.


Du sollst Vater und Mutter ehren

Das vierte Gebot ist kein Gebot für Kinder, es wendet sich an Erwachsene. Sie sollen die ältere Generation schützen vor Not und Einsamkeit. Dieses Gebot muss Maßstab sein für unser politisches Handeln bei der Gestaltung der Rentenversicherung. Ich bin mir sicher: Dieses Gebot fordert einen ganz neuen Generationenvertrag. Altersarmut darf nicht sein! Wir alle kennen die Bilder von Rentnerinnen und Rentnern, die Pfandflaschen sammeln und bei den Tafeln anstehen. Das ist würdelos und ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft.

Das Rentenniveau sinkt ständig. Und Menschen, die jahrelang in schlecht bezahlten Jobs gearbeitet haben, bekommen später eine Rente, die vorn und hinten nicht langt. Alle zwei Jahre legt der DGB Bayern seinen Rentenreport vor – mit den offiziellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung. Dieser Report zeigt deutlich, dass viel zu viele Menschen in Bayern über eine ungenügende soziale Absicherung im Alter verfügen. 
Männer, die im Jahr 2017 in Bayern in Rente gegangen sind, erhalten im Durchschnitt 1.081 Euro Altersrente. Frauen im Durchschnitt sogar nur 684 Euro. Als „gut“ gelten Renten von mehr als 1.500 Euro. Eine solche Rentenhöhe erreichen in Bayern allerdings nur etwa ein Viertel aller Männer und sogar nur vier Prozent der Frauen. Das sind Durchschnittszahlen. Durchschnitt heißt immer es gibt auch viele, die mehr bekommen. Das heißt aber eben auch: Es gibt viele, die noch weniger Rente erhalten.

Und das sind die Zahlen der Rentenversicherung. Ob daneben jemand privat vorgesorgt hat, oder geerbt hat, wissen wir nicht. Aber gerade Menschen, die im Berufsleben wenig verdienen und damit auch später nur sehr niedrige gesetzliche Renten bekommen, können es sich oft nicht leisten, privat vorzusorgen. Niedrige Löhne und private Vorsorge schließen sich faktisch aus. Auch betriebliche Altersvorsorge gibt es im unteren Lohnsegment kaum. Politiker wie Friedrich Merz fordern mit Penetranz die private Vorsorge, am besten über Aktien. Das sind Luftnummern. Wie soll jemand privat vorsorgen, der schon im Berufsleben zu wenig Geld hat?

Armut im Alter ist längst Realität. Rentnerinnen und Rentner in Bayern müssen mit ihrer gesetzlichen Rente oft nahe oder gar unter der Armutsgefährdungsschwelle leben. Insgesamt landen mehr als 70 Prozent der Frauen mit ihren gesetzlichen Altersrenten unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle. Bei den Männern ist dies „nur“ bei etwas mehr als einem Drittel der Fall. 
Es ist ein Skandal in so einem reichen Land, wenn die Rente nicht zum Leben reicht.
Die Daten und Fakten unseres Rentenreports zeigen, dass wir nach wie vor einen erheblichen Handlungsbedarf in der Rentenpolitik haben. Ja, es ist ein guter Anfang, dass die Bundesregierung mit ihrem Rentenpakt 2018 Leistungsverbesserungen auf den Weg gebracht hat. 2019 soll es weitere Verbesserungen geben. Und ich bin dankbar, dass durch den Vorschlag von Bundesarbeitsmister Hubertus Heil zur Grundrente jetzt endlich Bewegung in die Debatte kommt. Wir kämpfen für beides: für anständige Löhne und für eine Rente, die ein Leben in Würde auch im Alter möglich macht. 

Vermögen sind ungleich verteilt

Das Vermögen in Deutschland ist extrem ungleich verteilt. Ein Prozent der Bevölkerung verfügt über 32 Prozent des Gesamtvermögens. Am anderen Ende der Vermögensverteilung besitzen 50 Prozent der Bevölkerung gerade einmal 2,4 Prozent des Gesamtvermögens. Etwa 30 Prozent der Erwachsenen haben so gut wie kein Vermögen oder gar Schulden.
Jeder zweite deutsche Arbeitnehmer verdient heute nicht mehr als vor 20 Jahren. Die unteren 20 Prozent der Einkommensskala mussten seit Anfang der 1990er Jahre sogar reale Einkommensverluste hinnehmen, während das reichste Zehntel reale Einkommenszuwächse von 30 Prozent erzielte.

Schon in der Bibel ist der Schutz des Eigentums mehr als das Verbot des Diebstahls. Die Propheten der hebräischen Bibel und die Schriften des Neuen Testamentes nennen ungerechte Löhne Diebstahl. Ihr habt den Arbeitern, die euer Land abgeerntet haben, den Lohn vorenthalten. Siehe, das schreit zum Himmel. (Brief des Jakobus 5,4)


Immer weniger Menschen können etwas zurücklegen

In Deutschland liegen etwa sechs Billionen Euro auf der hohen Kante. Aber das Geld ist ungleich verteilt. 31 Prozent und damit fast jeder dritte Haushalt verfügt über keinerlei finanzielle Reserven. Das ist im internationalen Vergleich der zweithöchste Wert an Nichtsparern hinter Rumänien. In Bayern verfügt ein Haushalt im Durchschnitt über 213.000 Euro Bruttovermögen. Aber die Ungleichheit der Vermögensverteilung hat auch in Bayern weiter zugenommen. Gemessen wird die Verteilung des Vermögens mit dem sogenannten Gini-Koeffizient. Auf das Einkommen bezogen würde ein Gini-Koeffizient von 0 bedeuten, alle verdienen das Gleiche, der Wert 1 würde bedeuten, einer verdient alles. Je höher also der Gini-Koeffizient, desto ungerechter die Verteilung. In Bayern hat der Gini-Koeffizient in den Jahren 2003 bis 2013 von 0,62 auf 0,66 zugelegt. Auch in Bayern sind also Einkommen und Vermögen immer ungerechter verteilt.


Immer weniger Wohnungen mit Sozialbindung

Auch der Anteil der Menschen ohne Vermögen hat in Bayern weiter zugenommen. Lag der Anteil 2003 noch bei 6,5 Prozent, so lag er 2013 bereits bei 8,6 Prozent. Ein Grund dafür, dass immer weniger Menschen am Monatsende etwas zurücklegen können, sind die dramatisch steigenden Mieten, die erheblich schneller steigen als die Löhne und Gehälter. Allein in Bayern fehlen etwa 192.000 bezahlbare Wohnungen. Mieterinnen und Mieter müssen vor allem in den Ballungszentren horrende Mietpreise bezahlen. 

Dabei steht im Artikel 106 der Bayerischen Verfassung: „Jeder Bewohner Bayerns hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung“. Ich würde mir wünschen, dass die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker wenigstens hin und wieder mal einen Blick in die Verfassung werfen. Einer der Hauptgründe für die Wohnungsnot im Freistaat ist der permanente Rückgang von Wohnungen mit Sozialbindung. Im Jahr 1988 gab es in Bayern 495.240 Sozialwohnungen. Bis zum Jahr 2014 ist die Zahl auf 147.078 Sozialwohnungen gesunken. Im Jahr 2018 waren es sogar nur noch 103.000 Sozialwohnungen in Bayern. Und die Zahl sinkt weiter, da immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen. 

Seit 2014 sind die Mieten in Großstädten wie München und Nürnberg um 25,4 bzw. 26,5 Prozent gestiegen. Aber auch in kleineren Städten und Gemeinden sind die Mieten – wenn auch auf einem anderen Mietniveau – teilweise explodiert. Etwa 40 Prozent der Haushalte in Bayern müssen mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufwenden, fast 20 Prozent zahlen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete. Auf Dauer führt das zu einer finanziellen Überlastung. 

Papst Franziskus hat es im Herbst 2013 in seinem Apostolischen Sendeschreiben auf den Punkt gebracht: 
„Ebenso wie das Gebot ,du sollst nicht töten‘ eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein ,Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen‘ sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während eine Baisse um zwei Punkte in der Börse Schlagzeilen macht. Es ist nicht mehr zu tolerieren, dass Nahrungsmittel weggeworfen werden, während es Menschen gibt, die Hunger leiden. Das ist soziale Ungleichheit.“ 


„Manager to Worker Pay Ratio" wächst ständig weiter

Die Zahl der Menschen in Deutschland mit einem Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar (wegen des internationalen Vergleichs wird das in Dollar gerechnet), ist von 2010 bis 2017 um 48 Prozent gestiegen. 2010 hatten 924.000 Menschen ein Vermögen von mehr als einer Million US-Dollar, 2017 waren es bereits 1.365.000 Menschen.

Viele ausgebildete Facharbeiter erhalten 3.000 Euro im Monat. Damit etwa genauso viel, wie ein ehemaliges Vorstandsmitglied eines Automobilkonzerns als Rente am Tag. 2005 „verdiente“ ein Manager eines DAX-Unternehmens im Durchschnitt 42-mal so viel wie der Durchschnitt seiner Belegschaft. Keine Arbeit irgendeines Menschen kann 42-mal so viel wert sein wie die Arbeit der Beschäftigten. Aber innerhalb von sechs Jahren bis zum Jahr 2011 stieg der Abstand bereits auf das 62-fache an. Erneut sechs Jahre später, 2017, war es im Durchschnitt sogar schon 71-mal so viel. Und diese sogenannte „Manager to Worker Pay Ratio“ wächst ständig weiter. Hier ist vom Durchschnittsgehalt der Manager die Rede. Betrachtet man nur die CEOs, die Chief Executive Officer, also die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder, ist der Abstand sogar noch viel größer. 
Der Chef der Deutschen Post bekam 2017 das 232-fache des durchschnittlichen Gehalts seiner Mitarbeitenden. Martin Luther kritisiert schon 1524 die unverhältnismäßig hohen Einkommen in der Wirtschaft. Mit Blick auf die in kürzester Zeit zu Reichtum gekommenen Unternehmer des Frühkapitalismus stellt er fest: „Wie sollt das immer mögen göttlich und recht zugehen, dass ein Mann in so kurzer Zeit so reich werde, dass er Könige und Kaiser aufkaufen möchte?“
Und der bayerische Landesbischof, Heinrich Bedford-Strohm, sagt bei der DGB-Kundgebung am 1. Mai 2016 in Ingolstadt mit Bezug auf dieses Luther-Wort: „Wer sich das Auseinanderfallen zwischen Spitzeneinkommen in der Wirtschaft und durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen heute anschaut, sieht schnell, wie aktuell diese Worte sind. Es muss nicht jeder das Gleiche kriegen, aber Einkommensunterschiede dürfen nicht aus den Fugen geraten. Sie müssen immer auch vor den Schwächsten gerechtfertigt werden können.“


Unser Steuersystem ist ungerecht

Das Problem wäre kleiner, wenn große Vermögen und gigantische Einkommen adäquat zur Finanzierung unseres Sozialsystems herangezogen würden. Aber das Steueraufkommen aus vermögensbezogenen Steuern ist in der Bundesrepublik sehr gering. Lediglich 2,9 Prozent des Gesamtsteueraufkommens wird aus vermögensbezogenen Steuerarten generiert. Deutschland ist damit im internationalen Ranking Schlusslicht. Würde Deutschland ein Aufkommen aus vermögensbezogener Besteuerung nach OECD-Durschnitt generieren, gäbe es für den Fiskus jährliche Steuermehreinnahmen von 33 Milliarden Euro. Unser Steuersystem ist ungerecht. Die reichsten 30 Prozent der Bevölkerung zahlen heute weniger als vor 20 Jahren, die unteren 70 Prozent mehr Steuern.
Und dann sind die ganz Reichen auch noch besonders kreativ, wenn es darum geht, den Staat zu betrügen und Steuern zu hinterziehen. Beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende ließen sie sich eine nur einmal gezahlte Kapitalertragssteuer gleich mehrmals erstatten. 
Durch diese sogenannte Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte sind dem Staat enorme Summen entgangen. Europaweit etwa 55 Milliarden Euro. Allein der deutsche Staat wurde um mindestens 31,8 Milliarden Euro betrogen. Mit mehr als 30 Milliarden Euro hätten eine Menge Schulen und Brücken saniert und die Hilfe für die Ärmsten der Armen kräftig aufgestockt werden können. Doch stattdessen kassierten Banken, Börsenmakler und Anwälte das Geld, das dem Fiskus zugestanden hätte. „Es ist der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik", sagt der Finanzwissenschaftler Christoph Spengel. Mehr als 100 Banken stehen im Verdacht, solche Geschäfte zulasten des Steuerzahlers getätigt zu haben. Spätestens ab dem Jahr 2002 wusste die Regierung Bescheid, passiert ist jahrelang nichts. Und jetzt gerät die Aufarbeitung des Skandals ins Stocken, viele Fälle könnten verjähren. Offenbar wurden viel zu wenige Ermittler eingesetzt, um dem Umfang und der Komplexität der Cum-Ex-Fälle gerecht zu werden.
Siehe, das schreit zum Himmel. (Brief des Jakobus 5,4)

Deutschland ist ein reiches Land. Umso skandalöser ist es, dass so viele Menschen in Deutschland abgehängt sind, weil sie arm sind. Der Reichtum in Deutschland muss umverteilt werden. Wir brauchen höhere Regelsätze für das Arbeitslosengeld II, wir brauchen einen deutlich höheren Mindestlohn, wir brauchen bessere und sichere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, wir brauchen eine soziale Infrastruktur, wir brauchen wir viel mehr günstigen Wohnraum und um das alles finanzieren zu können brauchen wir höhere Steuern auf große Einkommen und Vermögen.

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