Michael Blume: Möge die Macht mit Euch sein

Die Heldenmythen in Star Wars

„Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis…“, eröffnete 1977 der erste schnell klassisch gewordene „Rollup“ ins Weltall schwebender Schrift die Mythenserie von Star Wars. Seitdem ist eine Flut von Filmen, Büchern, Spielen und Spielzeugen über die Menschheit gerollt, die dank der Übernahme des Stoffes durch Disney auch noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte weitergehen wird. Charaktere wie Luke, Han Solo, Prinzessin Leia, Darth Vader und Yoda sind Milliarden Menschen gut bekannt und Wortwechsel wie „Ich bin dein Vater!“ oder „Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl.“, stellen Verbindungen zwischen den Eingeweihten dar. Gut möglich, dass spätere Forschergenerationen Star Wars eine global ähnliche Bedeutung beimessen werden wie wir heute der Troja-Saga im vorchristlichen Mittelmeerraum!
Gerade auch für Verfechter eines materialistischen Weltbildes ist es schwierig zu verstehen, warum Menschen überhaupt mehr benötigen als wissenschaftlich überprüfbare Theorien. Die Troja-Legenden oder auch die Erzählungen der Bibel beziehen sich doch immerhin auf real existierende Zeiten. Aber Star Wars versetzt sich schon mit seinem ersten Satz in eine unwirkliche Welt, in der es zwar Menschen gibt, aber keine Erde – und die Raumschiff-Technologien präsentiert, aber nach eigener Ankündigung aus einer Vergangenheit erzählt. Was ist hier los?

Star Wars als christlich-buddhistische Kombination

Der Saga-Schöpfer George Lucas wusste, was er tat und bezog sich dabei auch auf die intensive Lektüre von religionsbezogenen Klassikern wie James Frazer, Carlos Castaneda und – vor allem – Joseph Campbells „Der Heros in tausend Gestalten“. Persönlich christlich-methodistisch geprägt begeisterte er sich, wie viele junge Leute seiner Generation, auch sehr für den Buddhismus und schuf mit der Jedi-Mythologie eine religionsverbindende Space-Fantasy-Kombination. Seinem Biografen Dale Polock erklärte Lukas, dass „der Film für ein junges Publikum gedacht war, und so versuchte ich, auf einfache Weise zu sagen, dass es einen Gott gibt und dass eine gute wie auch böse Seite existiert.“ (Taylor 2015, S. 128)
So ist beispielsweise der Jedi-Gruß „Möge die Macht mit dir sein!“ eine direkte Ableitung aus dem kirchlichen Dominus vobiscum, „Der Herr sei mit dir!“. (Taylor 2015, S. 132)
Und „die Macht“ vermag sogar ein an Taten im Leben geknüpftes Jenseits zu verbürgen, bleibt aber andererseits so apersonal, dass sie auch für Menschen akzeptabel erscheint, die mit dem Glauben an eine personale Gottheit nichts anfangen können. Auch die Jedi-Ritter verbinden christliche und buddhistische Mönchstraditionen und changieren zwischen Shaolin-Kampfsportlern, Samurai und selbstverwaltetem Tempelritter-Orden.
Seinem anfänglichen Produzenten, dem studierten Religionswissenschaftler Gary Kurtz, gelang es dabei noch, Lukas von einigen pseudo-asiatischen Begriffen und der esoterischen Idee eines „Kaibur-Kristalls“ in den ersten Drehbüchern wieder abzubringen: Die Star Wars-Mythen und Helden sollten möglichst symbolisch offen bleiben und niemanden vor den Kopf stoßen. Dass Kurtz dabei durchaus richtig lag, zeigten verärgerte Reaktionen vieler Fans auf allzu detaillierte Ausführungen zu den pseudo-biologischen „Midi-Chlorianern“ in späteren Lukas-Episoden. Die Fans hatten längst eine – meist unbewusste – Erwartung entwickelt: Die „Science“ in „Science Fiction“ sollte die etablierten Mythen keinesfalls entzaubern!

Auch Star Trek griff zunehmend auf Mythen zurück

Zum Vergleich: Auch das anfangs bewusst humanistisch-säkulare Star Trek ist diesem Schicksal nicht entgangen. So schuf der Spock-Darsteller Leonard Nimoy (1931 – 2015) den populären, vulkanischen Gruß, indem er mit der Hand das hebräische Schin – eine machtvolle, jüdische Segensgeste – formte. Und in späteren Star Trek-Folgen und Varianten wimmelt es von religiösen und mythologischen Bezügen. (Wuliger 2015)
Das 20. Jahrhundert kleidete seine Mythen in Technologien, um sie neu faszinierend und – für den genießenden Moment – glaubwürdig zu machen. Science Fiction speist seine Faszination gerade nicht nur aus Verheißungen von Technik und Zukunft, sondern aus seinen auch religiösen und spirituellen Quellen.

Der Hunger nach Mythen –
besonders bei Heranwachsenden


Und inzwischen entdeckte die interdisziplinäre Evolutionsforschung tatsächlich, warum Menschen Mythen notwendig brauchen und auch in gewisser Hinsicht mit jeder Erzählung ihre eigene Identität bilden: Wer sich nicht anderen gegenüber verständlich machen und Akzeptanz gewinnen konnte, hatte keine realistische Chance auf Überleben und Fortpflanzung. Fehlen uns diese Erfahrungen von erzählbarem Sinn und Gemeinschaft, so werden unsere internen Warnsysteme aktiviert, erleben wir den Mangel als Verzweiflung und geradezu körperlichen Schmerz. Sinn- und Identitätskrisen sind Existenzkrisen! (vgl. Blume 2012)
Und in keiner Lebensphase wird der Hunger nach gemeinsamen Mythen und Anerkennung so heftig erlebt wie in der Kindheit und besonders Jugend! Daher legten auch gewachsene Religionen ihre Einweihungen und Initiationsprüfungen wie die Bar und Bat Mizwa oder Konfirmation in diese Phase; die alevitische Religionsgemeinschaft berät gerade mit den humanistischen Verbänden über eine Adaption der „Jugendweihe“. Denn tatsächlich fragen ja auch jährlich Abertausende konfessionsloser Jugendlicher und Familien solche säkularen Ersatzrituale nach – oder schaffen sich eigene, wie zum Beispiel Mutproben oder Fan-Conventions mit zeitweisen Kleidungs- und Rollenwechseln.

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Weiterlesen im Heft 4/16