Michael Freitag: Das Schloss, der Schlosspark und das Museum

Landschaften der Evangelischen Jugend

Das Schloss

Als bildhafte Beschreibung der Evangelischen Jugendarbeit ist mir lange Zeit ein Schloss vor Augen gewesen. Ganz abgesehen davon, dass in Referaten über das Wesen und die Erscheinungsformen evangelischer Jugendarbeit die Verwendung von Bildern ja viel sinnenfälliger und interessanter ist als die Aufzählung trockener statistischer  Erkenntnisse (so wichtig sie sind!) oder intellektuell aufgestylter Thesen (so wahr sie auch sein mögen) – abgesehen davon trifft das Bild Sachverhalte.

Dieses Schloss inzwischen bisweilen etwas verwittert und durchaus altertümlich-ehrwürdig  anzuschauen. Es ist in gewisser Weise ein Zeugnis glorioser Vergangenheit. Es atmet Tradition und wirkt auch ein wenig museal. Die kulturellen Adaptionen entsprechen nicht unbedingt immer dem urbanen Getriebe und jugendkultureller Zeitgeistnähe, aber insgesamt ist es doch ein prächtiges Monument kirchlicher Größe, Schönheit und Wichtigkeit – böse Zungen behaupten: vergangener Größe.

Der Zugang zu diesem Schloss ist – wie wir aus unseren Jugend-Studien wissen – nicht unbedingt leicht. Jedes anständige Schloss hat um sich herum immerhin seinen Schlossgraben mit einer Zugbrücke und Wächtern, die einen Kriterienkatalog für die Zugangsmöglichkeiten in der Hand haben und die schon lange nicht jeden reinlassen – auch wenn die Schlossherr*innen behaupten, dass jede*r wahnsinnig herzlich willkommen sei und auch wenn in Wahrheit die in diesem Schloss Arbeitenden sich bisweilen händeringend um Besucher*innen mühen und für jeden Gast, der kommt, dankbar sind.

In diesem Schloss gibt es viele Räume: Verschiedene Gruppen-Räume für alle Altersstufen, einen Festsaal für Events und Großveranstaltungen, den Pfadi-Keller, den Übungsraum für die Nachwuchsband und das Seelsorgezimmer inklusive Telefonanschluss für die telefonische Seelsorge. Es gibt neuerdings Räume für unbegleitete minderjährige Geflüchtete und ein Equipment für Social Media. Im Schlossgarten gibt es eine große und ganz gut ausgestattete Spielwiese für Kinder. Der Arbeitsraum, über dem „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ steht, wirkt zwar nur wenig benutzt, aber es gibt ihn immerhin noch. Im Wirtschaftsgebäude ist die Küche: Sie ist als Experimentierküche ausgewiesen und gut ausgestattet – experimentieren war immer ein Markenzeichen evangelischer Jugend. Einen Gebets- und Andachtsraum finden wir auch -  und den Kreuzgang im Innenhof, in dem nicht nur alljährlich der „Ökumenische Kreuzweg der Jugend“ mit vielen, teilweise ansonsten unbekannten Gästen gefeiert wird, sondern auch eine Reihe von anderen meditativen und spirituellen Begehungen.

Inmitten des Schlosses ist die Schlosskirche mit Seitenkapelle; hier finden jugendgemäße Gottesdienste und Andachten statt, gelegentlich auch theologische Diskurse oder interessante Vorträge und Diskussionen über die wichtigen Fragen des Lebens. Für Bibelarbeiten, geistliche Übungen oder Glaubensgespräche reicht allerdings meistens die Seitenkapelle aus – so wahnsinnig groß ist die Nachfrage denn doch nicht. Und vor allem: richtig berührende („existentielle“) Gespräche über Gott und das Leben finden sowieso meistens „by the way“ am Lagerfeuer im Hinterhof statt. Immerhin: Fast alle Akteure behaupten, die Schlosskirche samt Inhalt sei das Zentrum dieses Schlosses – auch wenn die Realität, zumindest vordergründig, zumeist anders aussieht. Der nebenan gelegene Gemeinschafts- und Geselligkeitsraum mit seinen Freizeit-, Spiel- und Spaßmöglichkeiten entwickelt doch in der Regel eine größere Anziehungskraft.

Selbstverständlich gibt es noch viel, viel  mehr Räume in diesem Schloss. Und mit einem solch kurzen und fragmentarischen Ein-Blick ist die hoch ausdifferenzierte Wirklichkeit dieses Schlosses kaum angemessen zu erfassen (darum anderorts seitens des Verfassers in nächster Zeit dazu mehr).

Ein weiterer Raum soll allerdings hier nicht unerwähnt bleiben: Das Mitarbeitendenzimmer. Hier werden nicht nur zukünftige Mitarbeitende (Ehrenamtliche und Hauptberufliche) geschult und weitergebildet – hier trifft man/frau sich auch, um Konzepte und Ideen zu entwickeln und das Nötige vorzubereiten. Selbstverständlich findet man hier viel Innovationskraft, Schwung und Freude (Spaß) an der Sache - und  eine hohe Motivation. Aber viele Gespräche drehen sich auch um Arbeitsüberlastung, Ärger mit den Schlossbesitzern und das Erlahmen der Motivation - und um Frust, weil die anfänglichen Ideale sich nicht realisieren lassen, selbst gesteckte Ziele nicht erreicht werden und der Elan nachlässt. Und weil die jugendlichen Gäste – oder, der reinen Lehre nach, die jugendlichen Mitmacher*innen und Akteur*innen -  die Angebote nicht entsprechend nutzen und oft auch immer weniger werden.
Gewiss: Noch ist das Schloss finanziell halbwegs solide finanziert und die Schlossbesitzer in Herren-Hausen und anderswo vermelden, dass das auch so bleiben solle, denn die Jugend habe Priorität. Aber nicht leugnen lässt sich, dass inzwischen vermehrt einige Räume zugemacht und versperrt werden mussten (besonders die Gruppenräume), einige Gruppen zusammengelegt werden mussten und hie und da der hauptberufliche Diakon neuerdings den Großteil seiner Zeit in der  benachbarten Seniorenresidenz zubringt (nichts gegen Senioren übrigens: sie sind auch „Teil der Kirche“ und dürfen „mittendrin statt daneben“ sein).
Immerhin: Insgesamt ist eigentlich noch viel los in diesem Schloss und bisweilen herrscht sogar buntes Leben.
Dennoch. Denn es gibt auch düstere Prognosen: Die demografische Entwicklung, der religiöse Traditionsabbruch und der Rückgang religiöser Sozialisation in den Familien beispielsweise. Und es gibt Vorwürfe.

........

Mehr lesen im bg 2/17