Michael Schredl: Nachtträume: Kreativ und lehrreich - wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Schlaflabor

Träume werden – im Sinne der Traumforschung – als subjektives Erleben während des Schlafes bezeichnet, das man nach dem Erwachen erinnern kann. Auch wenn die Fähigkeit, sich an Träume zu erinnern, von Person zu Person stark unterschiedlich ist – es gibt Menschen, die sich fast jeden Morgen erinnern, andere so gut wie gar nicht – geht man davon aus, dass jeder Mensch jede Nacht in allen Schlafphasen träumt, d.h. das Träumen ist eine Grundfunktion des Gehirns – so wie das subjektive Erleben während des Wachseins. Schon ganz früh wurde von Alfred Maury, einem französischen Schlafforscher des 19. Jahrhunderts, die Frage aufgeworfen, ob wir sicher sein können, dass die Träume, die nach dem Aufwachen berichtet werden, tatsächlich im Schlaf stattfinden oder vielleicht doch in Sekundenschnelle während des Aufwachens entstehen.


Die moderne Traumforschung hat zwei Ansätze entwickelt, das zu untersuchen. Bei einem Ansatz wird ein Reiz, z. B. ein Wort, während des Schlafes vorgespielt (nicht zu laut, um die Person nicht zu wecken, jedoch so laut, dass es gut hörbar ist). Diese Reize werden zum Teil in den Traum eingebaut, man wartet dann 30 Sekunden und weckt die Person. Wenn der Reiz im Traum vorkommt, dann weiß man, dass der Traum tatsächlich eine Rückerinnerung an das subjektive Erleben während des Schlafes darstellt, da der Reiz beim Aufwachen nicht mehr da ist. Auch die Studien, die die Gehirnaktivität vor dem Aufwachen messen und Zusammenhänge zum Trauminhalt finden, z. B. Motorkortex und Bewegungen, widerlegen die alte Annahme, dass Träume in Sekundenschnelle beim Aufwachen entstehen. Heute ist die Vorstellung, dass die Träume in „Echtzeit“ ablaufen, auch wenn man durch das dicht gepackte Geschehen manchmal den Eindruck hat, Stunden zu träumen.


Das Erinnern an Träume

Obwohl es viele Einflussfaktoren auf die Traumerinnerung gibt, z. B. Kreativität, ist der entscheidende Faktor die Aufmerksamkeit. Wenn man sich abends vornimmt, sich an Träume zu erinnern, sich etwas zu schreiben oder einen Voice-recorder zurecht legt, sich etwas Zeit nach dem Aufwachen nimmt, kann man die Traumerinnerung innerhalb kurzer Zeit massiv steigern. Im Jugendalter erinnern sich Mädchen durchschnittlich etwas häufiger an ihre Träume als Jungen.

In eigenen Studien konnten wir zeigen, dass es daran liegt, dass Mädchen häufiger mit anderen Mädchen über ihre Träume sprechen, während dieses Thema bei Jungengesprächen nicht so häufig ist. Innerhalb der Familie jedoch sprechen Jungen und Mädchen gleich häufig mit Eltern und Geschwistern über Träume, allerdings gibt es auch hier große Unterschiede, in manchen Familien wird mindestens einmal pro Woche über Träume gesprochen, ein Traum erzählt, in anderen Familien nur ganz selten. Das, was wir als Kinder über Träume lernen, scheint die Einstellung zu Träumen, die wir als Erwachsene haben, sehr stark zu beeinflussen.


Was träumen wir?

Was träumt das Gehirn nachts? Sind es nur verrückte, bizarre Geschichten, die nichts mit dem Alltag zu tun haben? Oder spiegeln die Träume Dinge wider, die uns im Alltag beschäftigen? Zunächst stellt sich die Frage, wie Träume überhaupt erforscht werden. Zunächst braucht man Traumberichte, zum Beispiel kann man die Person fragen: Welches ist der letzte Traum, an den Du Dich erinnern kannst?

Wir haben beispielsweise Traumberichte von Kollegen analysiert, die Fragebogen in Bibliotheken in England ausgelegt haben (UK Library project). 3.535 Kinder und Jugendliche haben geantwortet und 1.995 davon haben einen Traum aus der letzten Zeit berichtet. Ein anderer Weg sind Tagebücher: Die Person bekommt ein Traumtagebuch mit nach Hause und soll jeden Morgen aufschreiben, was geträumt wurde. Die modernen Studien verwenden statt des Papiers Voice-recorder, weil das morgens leichter und schneller als Aufschreiben geht. Dann werden die Träume analysiert, z. B. nach der Häufigkeit von Tieren, nach Aggression oder anderen Themen. Auch die Traumemotionen und die Traumbizarrheit (wie ungewöhnlich ist der Traum) werden ausgewertet.


Geschlechterunterschiede in den Träumen

Wenn man beispielsweise Träume von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vergleicht, stellt man fest, dass Kinder viel häufiger von Tieren träumen (50 Prozent aller Träume), es bei Jugendlichen abnimmt, und bei Erwachsenen in weniger als zehn Prozent der Träume Tiere vorkommen. Die Erklärung ist relativ einfach, in Kindergeschichten kommen viele Tiere vor, d.h. Kinder beschäftigen sich häufiger mit dem Thema, also träumen sie auch häufiger davon. Das wird in der Traumforschung als Kontinuitätshypothese bezeichnet. So träumen Sportstudierende häufiger von Sport als Psychologiestudierende, und Musiker häufiger von Musik als Nicht-Musiker. D.h. die täglichen Aktivitäten kommen auch im Traum vor. Es gibt auch Geschlechtsunterschiede in den Träumen von Jugendlichen: Jungen träumten in der UK Library Studie häufiger von physischer Aggression als Mädchen, wobei beide Geschlechter im Traum mehr einstecken mussten als sie austeilten.

Mädchen zeigten etwas mehr verbale Aggressivität im Traum als Jungen, auch hier ist es so, dass andere Traumpersonen dem Traum-Ich gegenüber aggressiv ist und nicht das Traum-Ich selbst. Jungen träumen auch häufiger von männlichen Personen (66 Prozent), während Mädchen etwa gleich häufig von Männern und Frauen träumen (46 Prozent der Traumpersonen sind männlich). Während einige Forscher das mit dem Oedipus-Komplex erklären (das konfliktreiche Verhältnis des Jungen zum Vater in Zusammenhang mit der Konkurrenz um die Liebe der Mutter/Ehefrau), konnten wir zeigen, dass es vor allem damit zusammenhängt, mit wem man den Tag verbringt.

Was bei Träumen besonders ist, dass viel häufiger von Freunden, gemeinsamen Unternehmungen und Ähnlichem geträumt wird, als von schulischen Dingen oder vom Studium. Das hat eine finnische Forschergruppe dazu veranlasst, eine Hypothese aufzustellen, die sie „Social Simulation Theory“ bezeichnet haben. Die Funktion der Träume besteht bei dieser Theorie darin, dass man im Traum soziale Interaktionen übt, das heißt: Wie komme ich besser mit meinen Mitmenschen zurecht? Das war für den Urmenschen sehr wichtig, da er nur in der Gruppe überleben konnte.

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Foto: evgenyatamanenko/iStockphotos by Getty