Norbert Copray: Wenn das Selbst optimiert wird

Die Ego-Falle überwinden und ein Du-Mensch werden

Werbung macht unzufrieden. Und Werbung ist überall: im TV, im Radio, in den Zeitungen und Zeitschriften, im Internet, auf dem Smartphone. Ständig wird getriggert: So musst du aussehen. Das musst du haben. Das könntest du sein. Das wäre dein schöneres, besseres, leichteres Leben. Das wäre deine Anerkennung. Ständig prasseln direkte und subtile Werbebotschaften auf uns ein. Da braucht es gar keinen Vergleich mit anderen. Werbung ist allgegenwärtig. Und da wundern wir uns, wenn Menschen unzufrieden sind?

In der Literatur gibt es eine Welle von Bekenntnisromanen. Selbstbespiegelungen in epischer Breite. Besonders dickbändig: die Werke „Leben“, „Sterben“, „Lieben“, „Spielen“ und „Träumen“ des norwegischen Schriftstellers Karl Ove Knausgard. Die Feuilletonistin Bettina Steiner kann in den Romanen von ihm, von Tomas Espedal („Wider die Natur“) oder Benjamin von Stuckrad-Barre („Panikherz“) keine neue Aufrichtigkeit erkennen, sondern beschädigten Narzissmus. Wird hier eine Gesellschaft von „Ichlingen“ erkennbar, die ihre Rettung vor den heutigen Anforderungen nur im Selbstbezug sieht?

Wenn das Selbst beschädigt ist

Beschädigter Narzissmus braucht Kompensation, Wundpflege, Bestätigung. Das prägt auch oft die Fitness- und Ernährungsszene, in der mit allerlei Methoden und Konzepten versucht wird, ein sogenanntes optimales Leben zu führen. Genug ist nie genug. In einem Tag zwei oder drei Tage leben. Im Trend: sich ständig selbst überwachen, sogar im Schlaf. Ein Minisensor am Hosenbund oder am Arm: diese Tracker, zum Beispiel als Fitnessbänder oder Smartwatches, sind hipp. Sie kommen zu den Smartphones hinzu, die auch schon personale Aufzeichnungen und Datenauswertungen betreiben können. Über 100.000 Gesundheits-Anwendungen gibt es für Smartphones. Permanent werden etliche persönliche Daten kontrolliert und aufgezeichnet. Ein Computerprogramm perfektioniert die Analyse. Ein Internetdienst optimiert die Freizeitaktivitäten. Das ist harte Arbeit an sich selbst. Mehr Selbstdisziplinierung war nie.

Optimierungsabsichten finden sich auch in der Beratungs-, Coaching- und Seminarszene. Gut ist nie gut genug, sondern besser, immer besser soll das Leben, will man selbst sein. Mit Büchern dazu lassen sich Regale füllen. Was auch Widerstand provoziert: „Selbstoptimierung bis zur Erschöpfung“ heißt ein Buch über die „Widerstandskraft und psychische Gesundheit von Frauen“. Und andere verwahren sich gegen die Selbstoptimierungszwänge, indem sie darauf bestehen: „Ich bleibe wie ich bin“. „Du sollst nicht funktionieren: Für eine neue Lebenskunst“ plädiert Ariadne von Schirach. „Schnauze voll! Schluss mit dem Optimierungsquatsch“ protestiert Rainer Moritz. Nun, das ist auch keine Lösung, um die ohnehin notwendige Veränderung und Anpassung an sich ständig ändernde Lebensumstände gut zu bewältigen. Es muss ja nicht Optimierung heißen; ein Begriff, der aus der Mathematik, der Technik, der Ökonomie und der Entscheidungsklärung kommt. Die Suche nach dem Optimum unter gegebenen Voraus- und Zielsetzungen nennt man Optimierung. Das heißt auch: Niemals kann jemand wissen, ob ein Optimum erreicht ist. Der Selbstoptimierung setzt also allenfalls der Tod ein Ende, jedoch kein Optimum.

......

Weiterlesen im Heft 3/16