Simone Birkel: Sprechen von, mit und über Gott

Wie geht das mit Jugendlichen?

Von klein auf suchen Menschen nach Fixpunkten, an denen sie sich festmachen bzw. orientieren können: die vertrauten Bezugspersonen, feste Ordnungen durch Rituale und Orte sowie verlässliche und wiederkehrende Sprachmuster, wie sie beispielsweise durch Reime und Rhythmen vorgeben sind. Intuitiv vertrauen Kinder darauf, dass das, was benennbar ist, auch existiert und sie sich darauf verlassen können. Nichts anderes meint Religiosität: In dem Wort Religion steckt das lateinische Wort religare, das mit „rückbinden“ oder mit „sich an etwas festmachen“ übersetzt werden kann.
Was aber ist, wenn diese kindlich-verlässliche Ordnung spätestens im Jugendalter unterbrochen ist? Wenn klar wird, dass das, was beispielsweise mit Gott bezeichnet wird, eben vielleicht nicht existiert? Wenn es alles Erfindung ist? Wenn es keine Möglichkeit zu geben scheint, sich das Sprechen von Gott überhaupt leisten zu können ohne als weltfremdes Wesen abgestempelt zu werden? Wenn, wie es Erik Flügge in seinem Buch „Der Jargon der Betroffenheit“ formuliert, die kirchlichen Sprachmuster nicht mehr funktionieren und „die Kirche an ihrer Sprache verreckt“?(1)

Im hier vorliegenden Beitrag wird es in erster Linie um das Sprechen über Gott, sprich religiöse Einstellungen und Überzeugungen gehen. Das Sprechen von Gott, wird gemeinhin als Verkündigung und das Sprechen mit Gott als Gebet bezeichnet, diese beiden Komponenten stehen hier nicht im Fokus, hier geht es um die Frage, welche Voraussetzungen vorhanden sein müssen, damit religiöse Erfahrung von Jugendlichen in Sprache gebracht werden können. Wie unschwer zu erkennen, wird dazu der klassische pas-?torale Dreischritt von Sehen – Urteilen – Handeln bemüht.

Sehen:
Dimensionen von Religiosität


Bei der Frage, wie sich religiöse Erfahrung in Sprache fassen lässt, sind unterschiedliche Grundvoraussetzungen mitzubedenken. Religiöse Kommunikation gehört nach Ulrich Hemel zu einer der vier Dimensionen, die eine religiös motivierte Lebensgestaltung kennzeichnen.(2) Als Grundlage dafür braucht es zunächst einmal eine religiöse Sensibilität, also die Ermöglichung der Erfahrung, dass mein Leben in ein größeres Ganzes eingebettet ist, das sich meiner unmittelbaren Kontrolle und Eingriffsmöglichkeit entzieht. Theologisch wird dies mit dem Verweis auf die Transzendenz gekennzeichnet. Einfallstore für solche Transzendenz-Erfahrungen sind die Konfrontation mit Leid, Tod, Krankheit, aber auch positiv konnotierte Erfahrungen wie das unbedingte Angenommensein durch Freundschaft, Partnerschaft und Liebe. Dem gegenüber steht ein religiöses Ausdrucksverhalten, der Wunsch, den nicht fassbaren Empfindungen einen bestimmten Ausdruck zu verleihen. Religiös geschieht dies traditionell mit unterschiedlichen religiösen Frömmigkeitsformen wie Gebet, Wallfahrt, Meditation o.Ä., mit denen aber gerade viele jungen Menschen wenig anfangen können. Aber auch weitere Formen von Ausdrucksverhalten zeigen den Wunsch, dieser Sensibilität nach Transzendenz doch irgendetwas Gegenständliches oder Performatives entgegenzusetzen, um es an die Oberfläche zu bringen. Die Kunst und Literatur ist voller Beispiele von Versuchen, das Unbenennbare abzubilden, in Form zu bringen (vgl. auch Artikel „Bilder in der religiösen Sprache“) oder in Worte zu kleiden. Hier deutet sich eine erste Spur an, wie (nicht nur bei Jugendlichen) die Sehnsucht nach dem Unbenennbaren doch in Form gebracht werden kann, nämlich durch Kunst und Kultur.

Neben der religiösen Sensibilität und dem religiösen Ausdrucksverhalten gibt es auch noch die Achse der religiösen Inhaltlichkeit, die eng mit der der religiösen Kommunikation korrespondiert. Es sind vor allem die Inhalte, die insbesondere von jungen Menschen nicht mehr nachvollzogen werden können: Was bedeutet es beispielsweise, von der „Menschwerdung Gottes“ zu sprechen oder die „Gnade der Erlösung“ anzuführen? Solche Worthülsen werden – wenn überhaupt noch – im „Theotop“ verstanden, um ein Bild des Religionspädagogen Georg Langenhorst zu bemühen, also eine Art gut gehegtes Biotop, in dem die traditionell fest verwurzelten Gläubige gedeihen und sich verständigen können, das aber mit den faktisch vorfindbaren sonstigen Lebensräumen wenig gemein hat. (3) Die im Theotop verwendete Sprache, so Langenhorst, wird zunehmend zur aussterbenden Fremdsprache, die nicht mehr verstanden und schon gar nicht gesprochen, will heißen, praktiziert wird. Eine Suche nach Bildern, Metaphern und Ausdrücken, die die Menschen und vor allem Jugendlichen von heute verstehen, ist notwendig. Hier gilt es, die durch soziale Medien und Kommunikationsdienste geprägte Ästhetik erstens verstehen und zweitens nachvollziehen zu können. Ein Versuch geht beispielsweise dahin, die Sprache an die neuen Kommunikationsformen anzupassen: „Am siebten Tag war Gott fertig mit seinem Kreativ-Projekt, fand das Ergebnis genial und beschloss ab jetzt zu chillen.“(4) So wird beispielsweise die Kernbotschaft der ersten biblischen Schöpfungserzählung  in der „Bibel in Kurznachrichten“ zusammengefasst, mit den Schlüsselwörtern „Kreativ-Projekt“, „genial“ und „chillen“ können Jugendliche zumindest etwas assoziieren. Auch die verschiedenen Ausgaben von Jugendbibeln versuchen, das Wort Gottes neu in verstehbare Sprache zu übersetzten.

Aber sind nicht auch diese Versuche einer versteh- und nachvollziehbaren biblischen Sprache nicht doch wieder nur an die Adressat-/innen im binnenkirchlichen Raum gerichtet? Es hat den Anschein, je kleiner der Kreis religiös überzeugter Jugendlicher wird, umso mehr Literatur wird diesbezüglich auf den Markt geworfen, die Recherche bei einem bekannten Online-Buchhändler bringt beispielsweise zum Stichwort „Jugendbibel“ über 100 Einträge.

In der zuletzt 2016 durchgeführten SINUS-Jugendstudie wurde deutlich, dass bei Jugendlichen durchaus eine religiöse Sensibilität und damit ein Bedürfnis nach Sinnfindung vorhanden ist, sie diesen aber nicht mehr zwingend in kirchlich institutionalisierten Räumen suchen. Individualität und persönlicher Glaube wird für Jugendliche zunehmend wichtiger, die traditionellen Räume religiöser Kommunikation, wie beispielsweise Bibelkreise, nehmen hingegen ab. Fakt ist, dass viele Jugendliche kaum oder wenig Möglichkeiten haben, sich über religiöse Fragestellungen und Inhalte auszutauschen, religiöse Überzeugung gilt als Privatsache, die zwar toleriert wird, über die aber im privaten Raum nicht oder kaum gesprochen wird. Umso wichtiger ist es für die jugendpastorale Arbeit, neue Räume und Formen zu erschließen, in denen religiöse Kommunikation öffentlich zum Thema wird. Eine mögliche Form ist, wie oben bereits angedeutet, sich an jugendkulturellen Events zu orientieren.

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