Tobias Fritsche/Karl-Hermann Rechberg: Für die Jugend gemacht – inspirierend für alle

Jugendkirchen – eine Hoffnung, die sich messen lässt?

Die Hoffnungen waren groß, als sich die evangelische Jugendarbeit in Bayern vor rund 15 Jahren erstmals intensiver mit Konzeptionen von Jugendkirche und Jugendgemeinde auseinandersetzte. Jugendliche sollten mehr Raum in der Kirche bekommen. Und das im doppelten Sinn: Nicht im Keller des Gemeindehauses, sondern in attraktiven Räumen. Am besten in einem ästhetisch ansprechenden Kirchenraum. Zugleich ging es aber auch um einen deutlich größeren Gestaltungs-Raum: Jugendliche sollten sich nicht einfach nur in vorhandene Gemeindeformen integrieren, sondern selbst Kirche und Gemeinde sein und gestalten können – mit ihren Ideen, mit ihren jugendkulturellen Zugängen zu Glaube, Musik, Sprache oder Gemeinschaft.

15 Jahre später existiert in der bayerischen Landeskirche ein Jugendkirchennetzwerk mit sechs Jugendkirchenprojekten: Die „Nikolai Youth Church“ – NYC (Neuendettelsau), die Jugendgemeinde „Das Loch“ (Hof), „LUX - Junge Kirche“ (Nürnberg), „luv – Junge Kirche“ (Lindau), „Das Rocksofa“ (Rentweinsdorf)   und die Jugendkirche der Evangelischen Jugend München (München). Ein guter Anlass, um einmal genauer hinzuschauen: Welche Hoffnungen haben sich erfüllt und welche nicht?

Es zeigte sich, dass Jugendkirchen schnell als Projektionsflächen für geradezu „messianische Hoffnungen“ dienten: Könnte mit ihnen der Verlust junger Menschen (und Mitglieder) in der Kirche gestoppt werden? Natürlich nicht.  Aber einige realistischere Hoffnungen und Fragen stellten sich doch: Haben Jugendkirchen die Chance,

  • Jugendliche und junge Erwachsene jenseits von Konfi- und Gemeindejugendarbeit anzusprechen?
  • Jugendliche in einem breiten Bildungsspektrum zu erreichen (etwa durch Kulturarbeit)?
  • einen attraktiven Gemeinschafts-Raum für junge Menschen zu schaffen?
  • Formen geistlichen Lebens zu entwickeln, die für junge Menschen attraktiv sind?
  • die Einstellung von jungen Menschen zur Kirche positiv zu verbessern?

Ob sich derartige Hoffnungen erfüllt haben, ist empirisch nicht leicht zu belegen. Lassen sich Hoffnungen messen? Zumindest der Versuch wurde unternommen: Das Netzwerk der sechs Jugendkirchen hat zwischen November 2019 und Februar 2020 seine Mitarbeiter_innen und Besucher_innen befragt.

Hierbei bekamen sie Hilfe vom Institut für Praxisforschung und Evaluation (IPE), das zur Evangelischen Hochschule Nürnberg gehört. Gemeinsam haben sie einen Online-Fragebogen entwickelt. Die Ergebnisse wurden vom IPE ausgewertet. In diesem Artikel werden einige ausgewählte Ergebnisse vorgestellt. Der vollständige Untersuchungsbericht ist auf www.ejb.de/aktuelles/jugendkirchen-aus-sicht-der-beteiligten-1  herunterzuladen.

Es liegt weiterhin im Auge des Betrachters, ob sich anhand der Zahlen zeigen lässt, welche Hoffnungen sich erfüllt haben. Aber zumindest handelt es sich um Indizien – oder theologisch gesagt um „Hoffnungszeichen“. Sie können zur Klärung und Ermutigung auf dem weiteren Weg einer „jungen Kirche in Bayern“ – auch jenseits von Jugendkirchen – beitragen.

Die Studie „Jugendkirche aus Sicht der Beteiligten“

Insgesamt wurden 289 Mitarbeiter_innen bzw. 41 Prozent der Mitarbeiterschaft aller sechs Jugendkirchen befragt. Dazu kamen 171 Besucher_innen. Nach Schätzungen des Netzwerks machte dies einen Anteil von 11 Prozent derjenigen Personen aus, die jährlich ausschließlich zu Besuch in die Jugendkirchen kamen. Diese Zahlen sprechen für verlässliche Ergebnisse mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von maximal 10 Prozent. Verzerrungen könnten mit dem Alter der Befragten zusammenhängen, da es sich umso schwieriger herausstellte, eine Person für die Befragung zu gewinnen, je jünger sie war. Dass die Daten dennoch recht zuverlässig sind, zeigte sich unter anderem darin, dass die Verteilung der Rückläufe zwischen den einzelnen Jugendkirchen so ausfiel, wie es aufgrund der erfahrungsgemäß von ihnen erreichten Personen zu erwarten war.

Jugendkirche ist keine reine Gymnasiast_innen-Veranstaltung

Die Jugendkirchen haben sich unter anderem gefragt, welchen Bildungshintergrund die Menschen haben, die zu ihnen kommen. Deshalb sollten die Befragten angeben, welche Schule sie besuchen bzw. welche Abschlüsse sie vorweisen konnten.

Am häufigsten wurde das Gymnasium (zwischen 46 und 61 Prozent) bzw. die Hochschulreife angegeben (zwischen 62 und 72 Prozent). Selten wurde der Besuch der Berufsschule (6 bis 10 Prozent) oder Förderschule (1 bis 3 Prozent) angeklickt. Ein wiederum größerer Anteil der Schüler_innen besucht die Real- oder Mittelschule. Unter den Besuchenden entspricht ihr Anteil sogar dem der Gymnasiast_innen (46 Prozent). Jugendkirche ist also keine reine Gymnasiast_innen-Veranstaltung.

Angebot fördert Glauben und stärkt Kirche

Die Befragten konnten drei Aspekte auswählen, die ihnen an ihrer Jugendkirche besonders wichtig sind. Unter den TOP 3 aller Antworten wurden sowohl von Mitarbeiter_innen als auch Besucher_innen gewählt: „Gemeinschaft und Beziehungen“ sowie „dass sie extra für junge Menschen da ist“.

An der Gemeinschaft wurde unter anderem die Möglichkeit gelobt, lockere Kontakte und tiefere Freundschaften einzugehen. Vor allem aber bemerken drei Viertel der Befragten den guten Umgang miteinander.

Dass so viele herausstellten, „dass Jugendkirche extra für junge Menschen da ist“, zeigt: Die Jugendkirchen scheinen einen Nerv damit getroffen zu haben, dass Jugendliche hier nicht nur eine Zielgruppe unter vielen bilden, sondern ganz im Zentrum stehen. Zu den TOP 3 der wichtigsten Jugendkirchen-Merkmale gehört unter den Mitarbeiter_innen außerdem „dass man selbst mitmachen bzw. mitgestalten kann“. Der Aspekt „christlicher Glaube“ landete bei ihnen auf Platz vier. Unter den Besucher_innen lag er auf Platz drei. Bedeutet das, dass der Glaube in den Jugendkirchen vor allem in der Mitarbeiterschaft nur einen Randaspekt darstellt? Dagegen spricht, dass der Gottesdienst derjenige Bereich ist, in dem sich mehr Mitarbeiter_innen engagieren, als in jedem anderen Bereich (31 Prozent). Es scheint, dass er das Zentrum der Mitarbeit darstellt. Außerdem wurden „Gottesdienst oder ähnliche Veranstaltungen“ neben „Gemeinschaft“ am häufigsten als ein Rahmen angegeben, in dem die Befragten Glauben in der Jugendkirche erlebt haben.

Betrachtet man all diese Ergebnisse zusammen, so scheint es, als ob das auf junge Menschen konzentrierte Angebot, sich beispielsweise in der Gottesdienstgestaltung einzubringen und positive Erfahrungen in einer Gemeinschaft zu machen, einen guten Rahmen für Glaubenserfahrungen schafft.

Außerdem scheinen sich Erfahrungen mit der Jugendkirche positiv auf die Haltung zur Kirche an sich auszuwirken: 73 Prozent der Mitarbeiter_innen gaben an, 

dass sich durch die Jugendkirche ihre Einstellung zur Kirche positiv verändert habe. Unter den Besucher_innen waren es 59 Prozent.

Das Jugendkirche-Format erreicht auch „Ältere“

Den Leitungsteams der Jugendkirchen fällt schon lange auf, dass Menschen aus ganz verschiedenen Altersgruppen sie besuchen. Daher wurde in der Untersuchung auch die Altersstruktur analysiert.

Junge Menschen zwischen 11 und 21 Jahren machen gut die Hälfte der Befragten aus (53 Prozent der aktiven Mitarbeiter_innen; 55 Prozent der Besucher_innen).

Interessanter Weise gaben 43 Prozent der aktiv Mitarbeitenden an, zwischen 22 und 40 Jahre alt zu sein – also ein recht hoher Anteil. Unter den Besucher_innen ist dieses Altersspektrum nicht so stark vertreten. Vermutlich bindet die Mitarbeiterschaft die jungen Menschen länger an die Jugendkirche. Dafür sprechen auch die Zahlen der ehemaligen Ehrenamtlichen, die die Jugendkirche immer noch ab und zu besuchen: Ihr Anteil wächst ab dem 19. Lebensjahr zuerst an, fällt dann zwischen 30 und 40 jedoch wieder. Es scheint also, als ob sich viele Mitarbeiter_innen nach Erreichen der Volljährigkeit einerseits von der Jugendkirche lösen, sich hierfür andererseits mehrere Jahre Zeit lassen – sei es mit aktivem Engagement oder im Besucherstatus.

Diese breite Altersstruktur hat vermutlich einerseits den Vorteil, dass die Älteren den Jüngeren mit ihrer Erfahrung zur Seite stehen können. Jugendkirchen berichten andererseits davon, dass es oft schwierig sei, die Interessen der sehr unterschiedlichen Altersgruppen „unter einen Hut“ zu bekommen. Diese Herausforderung kennen „klassische“ Kirchengemeinden umso mehr. Sie haben in der Regel auch noch die Interessen der Über-40-jährigen zu berücksichtigen. Dieses Problem stellt sich für eine auf junge Menschen konzentrierte Kirche nicht. Entsprechend schrumpft der Anteil der Mitarbeiter_innen in den Alterskohorten über 40 auf 4 Prozent.

Das ist bei den Besucher_innen jedoch anders: In deren Altersverteilung haben die Über-40-Jährigen einen Anteil von 27 Prozent. Die Jugendkirchen erklären sich dieses Ergebnis zum Teil damit, dass ein sichtbarer Teil von nicht mehr ganz jungen Erwachsenen ihr Programm „für sich entdeckt“ hat. Das fiel in manchen Jugendkirchen bereits vor der Studie auf und deutet darauf hin, dass hier eine Form von Kirche entstanden ist, die nicht nur für Jugendliche anziehend wirkt.

Konfirmandenunterricht ist ein wichtiges Tor zur Jugendkirche

Die Jugendkirchen fragten sich: „Wie kommen die Menschen überhaupt zu uns?“ Die meisten Befragten gaben an, „über Freunde, die mich mitgenommen haben“ auf die Jugendkirche aufmerksam geworden zu sein (38 Prozent). Für manche lag die Kirche einfach in der Nachbarschaft (18 Prozent), manche kamen zum ersten Mal in den Jugendgottesdienst (13 Prozent) und eine kleine Gruppe stieß zum ersten Mal in den Medien auf die Jugendkirche: Im Internet, über einen Flyer etc. (jeweils 8%). Eine noch kleinere Gruppe besuchte dort als erstes eine Kulturveranstaltung, wie z.B. ein Konzert (6 Prozent).

Am zweithäufigsten wurde jedoch angegeben, über den Konfirmandenunterricht auf die Jugendkirche aufmerksam geworden zu sein (34 Prozent). Damit ist die Jugendkirche immer noch kein „Konfi-Club“: Nur 6 Prozent gaben an, im typischen Konfirmandenalter zwischen zwölf und 14 Jahren zu sein. Dieses Ergebnis könnte zwar auch davon beeinflusst sein, dass jüngere Besucher_innen schwerer für die Befragung zu gewinnen waren als ältere. Jedoch zeigt die Altersverteilung insgesamt deutlich, dass Jugendkirchen viele verschiedene Altersgruppen ansprechen. Außerdem muss beachtet werden, dass zwar ein Drittel der Befragten über den Konfirmandenunterricht erreicht wurde – jedoch bei dem größeren Teil der Befragten, den restlichen zwei Dritteln, dies nicht der Fall war.

Erreicht Jugendkirche nur bereits kirchlich Sozialisierte?

Manche Gemeinden lassen ihre Konfirmanden bewusst die Jugendkirche besuchen, um diesen jugendspezifischen Zugang zu Kirche zu nutzen. Der oben beschriebene starke Zugang über den Konfirmandenunterricht zeigt, dass diese Strategie erfolgreich ist. Allerdings verfahren nicht alle Gemeinden so. Manche haben vielleicht Sorge, dass die Jugendkirche ihnen „ihre“ Konfirmanden „abwirbt“ und ihnen dadurch zu wenig „eigene“ junge Mitarbeiter_innen bleiben. Dieses Risiko erscheint jedoch verhältnismäßig gering: Der Anteil der Mitarbeiter_innen, die früher einmal eine andere Gemeinde besucht haben und jetzt nur noch in der Jugendkirche aktiv sind, liegt bei 13 Prozent. Unter den Mitarbeitenden besuchen 59 Prozent auch andere kirchliche Gruppen außerhalb der Jugendkirche. Unter den Besucher_innen ist der Anteil noch höher. Die meisten Befragten besuchen neben der Jugendkirche eine evangelische Kirchengemeinde. Einige jedoch auch eine katholische oder freikirchliche Gemeinde oder eine andere christliche Gruppe, wie z.B. den CVJM.

Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich allerdings die Frage: Erreichen Jugendkirchen nur Menschen, die ohnehin kirchlich sozialisiert sind? Dies lässt sich anhand der vorliegenden Studie nicht eindeutig beantworten. Dagegen spricht, dass 39 Prozent der Mitarbeitenden angeben, keine weitere kirchliche Gruppe zu besuchen. Ein latenter Hinweis ist auch, dass die Mitarbeiter_innen – wie bereits erklärt - den Aspekt „christlicher Glaube“ nicht überragend häufig zu den drei wichtigsten Aspekten der Jugendkirche zählen. Dies sind erste Anzeichen dafür, dass vor allem die Mitarbeit in der Jugendkirche auch für eher kirchenfernen Jugendlichen interessant ist. Für gesicherte Erkenntnisse müsste man diese Frage jedoch noch gezielter erforschen.

Eine weitere Frage mit weiterem Forschungsbedarf lautet: Was trägt dazu bei, dass eine Jugendkirche als Gemeinde wahrgenommen wird? In der vorliegenden Studie wurde gefragt, ob die eigene Jugendkirche eine Gemeinde sei. Mehr als die Hälfte der Befragten votierten für „eindeutig ja“. Über ein Drittel gab an, unentschieden zu sein. Etwas weniger als 10 Prozent antworteten mit „eindeutig nein“.1

Jugendkirchen bleiben eine Hoffnung…

Haben sich die Hoffnungen, die in Jugendkirchen gesetzt wurden, nun erfüllt? Einige der Ergebnisse sprechen dafür:

  • Für einen Teil der Befragten ist Jugendkirche derzeit die einzige kirchliche Anbindung. Wie gut sie jedoch Menschen aus dem kirchenfernen Milieu erreicht, wissen wir noch nicht.
  • Jugendkirche erreicht zumindest formal gesehen ein breites Bildungsspektrum: Neben den vielen Gymnasiasten finden sich unter den Besucher_innen vor allem auch viele Schüler_innen aus der Real- und Mittelschule.
  • Obwohl Jugendkirche keine „Konfikirche“ ist, scheint sie in hohem Maße anschlußfähig an die Konfi-Arbeit.
  • Die Gemeinschaft, die hier entsteht, wird mit am meisten gelobt und wird als sehr attraktiv empfunden.
  • Der christliche Glaube ist zumindest für die Besucher_innen einer der drei wichtigsten Merkmale der Jugendkirche. Veranstaltungen wie Gottesdienste werden von ihnen – aber auch von Mitarbeitenden – als eine der Hauptquellen von Glaubenserfahrungen betrachtet. Dies alles deutet darauf hin, dass hier Formen geistlichen Lebens gefunden wurden, die für junge Menschen attraktiv sind.
  • Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Jugendkirche einen positiven Einfluss auf die Einstellung zur Kirche hat.

Jugendkirchen sind offensichtlich kein Wunderrezept, um kirchenferne Jugendliche zu erreichen. Das zeigt unter anderem der hohe Anteil an Befragten, die auch andere kirchliche Gruppen besuchen – und daher nicht besonders kirchenfern scheinen. Dennoch machen die Ergebnisse der Untersuchung Hoffnung, dass Jugendkirche ein Format ist, das junge Menschen gut erreicht. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der starken Zustimmung zu dem Konzept, eine Kirche „extra für junge Menschen“ zu sein. Zudem fordert der hohe Anteil von Besucher_innen über 40 fast dazu auf, sich von den Jugendkirchen zu der Frage inspirieren zu lassen, wie Kirche sich grundsätzlich weiterentwickeln könnte – nicht nur für Jugendliche.

Anmerkungen

(1) Tobias Fritsche untersucht derzeit vertieft die Antworten von Ehrenamtlichen in der Jugendkirchen-Leitung auf  die Frage, was Jugendkirche zur Gemeinde macht. Seine Studie ist jedoch noch nicht publiziert.

Karl-Hermann Rechberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IPE, einem Forschungsinstitut der Evangelischen Hochschule Nürnberg. 
Tobias Fritsche ist Landesjugendpfarrer in der ELKB und war bis 2016 als Jugendkirchenpfarrer in „LUX - Junge Kirche” Nürnberg tätig.

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Die Band der „luv – Junge Kirche” in Lindau