Tobias Petzoldt: Im Gehen geht's

Ein spiritueller Weg über Geduld, Hoffnung und begleitet sein

Dein Weg mit mir

Ganz im Vertrauen
einfach los, gehen:
Hügel, hoch, hell,
Taler, tief, trüb.
Du gehst mit.
Darum geht‘s.

Pilgern ist Beten mit den Füßen, Wege entstehen beim Gehen, der Weg ist das Ziel, auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt und die Seele kommt zu Fuß. Diese und andere Sprüche über das laufende Unterwegssein in Gottes schöner Natur sprechen bereits Wesentliches an, worum es beim Pilgern geht: Um Gottesnähe und Gelassenheit, um Neugierde und Neuland, um das Sich-los-machen und das Sich-finden-lassen. Das alles geschieht oft im Kontrast zu unserem sonstigen Tagewerk mit getakteten Terminen, gefülltem Kalender und durchgeplanten Wochenverläufen.

Vielleicht ist darum das Pilgern und Fernwandern so populär in unseren Tagen. Menschen unterschiedlichen Alters und Alltags machen sich auf und gehen los, gehen weit und gehen manchmal sogar noch weiter, um später am angesteuerten Ziel anzukommen. Sie erleben dabei in unterschiedlicher Weise Begegnung, Begleitung und erkennen neue Blickwinkel auf Gott und die Welt. Bis dahin aber ist es oft ein weiter Weg, der von drei entscheidenden Phasen geprägt ist: Vom Losgehen, vom Unterwegssein und vom Ankommen. In allen diesen Phasen erleben Glaubende Erfahrungen mit sich und ihrer Fähigkeit, geduldig zu bleiben auf ihrem Weg und die Hoffnung zu wahren, dass der gewählte Pfad der rechte sei. Im wahrsten Wort- und im übertragenen Sinn.

Aufbruch
Bei Wind und Wetter
sich aufmachen
aus der Komfortzone:
den Weg suchen,
sich aussetzen allem,
was kommt,
und vertrauen,
dass das Ziel
alle Mühe lohnt.

Am Anfang ist der Weg und vorher steht die Entscheidung loszugehen. Die braucht es, denn sonst kommt man nicht vom Fleck. Manche planen ihre Strecke vorher penibel daheim, buchen lange vor dem Start Unterkünfte und wissen genau, wann und wo es unterwegs etwas zum Essen gibt. Andere beginnen ihre Reise mit unklarem Endziel, lassen sich unterwegs finden und nutzen dabei gelassen, was sich ergibt. Was für ein Typ bist oder wärest du? Allen gemein aber ist der Wunsch, sich aufzumachen, sich zu bewegen und neue Wege zu gehen. Und dabei auch im übertragenen Sinn die gewohnten Wege des Alltäglichen zu verlassen und sich führen zu lassen zu neuen Aussichten, Einsichten und Draufsichten, im besten Fall natürlich auch im Blick auf die eigene Person. Dabei ist es gut, wenn man um abzuschalten auch die technischen Endgeräte abstellt, das Denken und alles Planen. So kann man sich besser hinwenden zur Stille, zum Schauen, zum Sein - um sein zu können, um Sein zu sein. Dabei muss dann nichts herauskommen. Nur hinein.

Im Gehen geht's

Im Gehen
setzt sich vieles.
Im Laufen legt
sich manches.
In der Bewegung
komme ich
zur Ruhe
und an,
bei mir,
bei dir.

Oft führt uns der Weg über Höhen, nicht ohne Anstrengung, und hernach steigt man hinab in unterschiedlich tiefe Täler. Die Sichten und Aussichten sind verschieden, nicht immer liegt der Weg klar sichtbar und führt zumeist doch zum Ziel. Damit bekommt das reale Unterwegssein auch etwas Spirituelles und erweitert den Sinn: Lassen sich die Erfahrungen auf Wanderpfaden nicht auch vergleichen mit denen auf unseren Lebenswegen?

Da und dort ist der Weg nicht immer leicht, breit und gut zu finden. Vielmehr ist er oftmals unerwartet steil und schmal, man muss anhalten und suchen, es lauern Sackgassen und Irrwege, die rechte Richtung ist mitunter nur zu ahnen, Geduld und Hoffnung werden arg strapaziert Und ja, sicher führe es sich darum leicht auf geteerten Straßen, im geschlossenen Wagen mit Klimatisierung und einer Stimme, die uns sagt, wann es gut ist abzubiegen, zu wenden und wenn wir am Ziel sind. Doch wie erlebte man auf solchem Weg die Gnade eines Blätterdaches in der Mittagshitze, das Geschenk einer Quelle am Wegesrand oder die Gabe eines Obstbaumes beim Aufstieg? Auch, wenn es uns an schweren Tagen auf unbequemen Wegen an Geduld mangelt und noch mehr an Hoffnung: Glaubende wissen sich auch auf anstrengenden Strecken nicht allein, sondern sich auf ihrem Gang begleitet.

Ein anschauliches biblisches Beispiel dafür findet sich in der Geschichte der Jünger Jesu, die nach dem grausamen Kreuzweg- und Kreuzigungsgeschehen in ihr Dorf Emmaus laufen (Lk 24). Die erleben nach Gesprächen über ihre traurigen Gedanken plötzlich, dass sie da Einen mitlaufen haben. Der kommt mit ihnen ins Gespräch, der kommt ihnen angenehm nah, der kommt später mit zu ihnen nach Hause. Später, im Rückblick, erkennen die beiden Wanderer, dass Christus selbst mit ihnen ging. Christlicher Glaube heißt, dieser geistlichen Gewissheit der Weggemeinschaft nachzuspüren, mit Gottes Hilfe dem Gegenwind zu trotzen und den Rückenwind zu genießen. Darum ist es in unserer bewegten Zeit gut, gelegentlich auf dem eigenen Weg anzuhalten und zumindest einen Urlaub lang auszusteigen, bevor man aus der Bahn fliegt. Um anund innezuhalten, die Augen zu öffnen und zwischen Rück-Schau und Vor-Sicht zu sehen: Woher man kommt, worauf man steht, wohin man will. Wenn genug geschaut ist, geht man weiter, achtsam und Schritt für Schritt. Damit die Seele nicht auf der Strecke bleibt.

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Foto: Max Falk