Uta Pohl-Patalong: "Religiöse Kommunikation" in der evangelischen Jugendarbeit

Klärungsversuche und Vorschläge

Warum „religiöse Kommunikation“ so „in“ ist

Seit einigen Jahren ist der Begriff der „religiösen Kommunikation“ in der Praktischen Theologie wie in der kirchlichen Praxis beliebt, auch im Kontext der evangelischen Jugendarbeit. Diese Attraktivität entsteht meiner Wahrnehmung nach durch mehrere Faktoren: Zum einen erhöht die gesellschaftliche Individualisierung mit ihren permanenten Entscheidungsdruck die Notwendigkeit, Produkte, Inhalte und Orientierungen auf dem „Markt“ zu plausibilisieren, damit sie gewählt werden – und Plausibilität entsteht über Kommunikation. In dieser Hinsicht unterliegt der christliche Glaube den gleichen Bedingungen wie kommerzielle Produkte. Insofern ist Kommunikation in gewisser Weise an die Stelle von Traditionen und selbstverständlichen Normen getreten, (1) die früher darüber entschieden, wie man lebt und was man glaubt. Erst recht gilt dies für Jugendliche, die zum einen Traditionen noch stärker hinterfragen als ältere Menschen und zum anderen medial-kommunikativ vernetzt aufwachsen.Diese Kommunikationsbemühungen der Kirche stehen dabei in einer besonderen Konstellation im „postsäkularen“ Kontext der Spätmoderne: Ob das gewachsene Interesse für Religion und religiöse Traditionen gerade auch bei Jugendlichen zu einer stabilen religiösen Überzeugung und erst recht, ob diese zu einer engeren Bindung an die Institution Kirche führt, ist stark von der Kommunikation mit und in der Kirche abhängig.

Statt selbstverständlich eine Leitfunktion in der Gesellschaft zu beanspruchen wie vor der Moderne oder von einer wachsenden Irrelevanz auszugehen wie in der frühen Moderne, sind in der Spätmoderne seitens der Kirche Argumente und emotionale Überzeugungskraft gefragt – eben Kommunikation. Gleichzeitig hat in der innerkirchlichen Verständigung über den Charakter ihrer Arbeit der Kommunikationsbegriff in den letzten Jahrzehnten zunehmend den Verkündigungsbegriff abgelöst. Ernst Lange prägte den Begriff der „Kommunikation des Evangeliums“ bereits in den 1960er Jahren und beschrieb damit die Aufgabe der Predigt, aber auch als Aufgabe des kirchlichen Handelns insgesamt. (2)

Mit dem Begriff ist programmatisch eine Abwendung von einem monologischen und am Amt orientierten Ausrichten einer vorgegebenen Botschaft verbunden und eine Wahrnehmung der am Kommunikationsprozess Beteiligten als Subjekte, was für die evangelische Jugendarbeit ohnehin konstitutiv ist. Zudem erscheint „Kommunikation“ hinreichend offen, um den reformatorischen Grundlagen der protestantischen Kirchen, die die Freiheit des Glaubens betonen, gerecht zu werden. Wird in dieser Variante mit dem Terminus „Evangelium“ der Fokus auf die christlichen Gehalte gelegt, ist der Begriff der religiösen Kommunikation noch offener, was gerade angesichts der für das Jugendalter typischen religiösen Suchbewegungen von Vorteil ist. Gleichzeitig ist er damit aber auch unbestimmter. Häufig wird in Definitionsversuchen auf Hartmut Tyrell zurückgegriffen, der betont, dass Religion deswegen immer auf kommunikative Bestätigung angewiesen ist, weil man sich des Unsichtbaren nur gemeinsam mit anderen, also kommunikativ vergewissern könne. Gleichzeitig zeichne sich religiöse Kommunikation gegenüber sonstiger Kommunikation durch einen symbolischen, metaphorischen, gleichnishaften und allegorischen Charakter aus, da das Transzendente nur in Metaphern und Gleichnissen zugänglich wird. (3)

Diese grundsätzlichen Überlegungen reichen aber nicht aus, wenn man den Möglichkeiten religiöser Kommunikation mit Jugendlichen auf die Spur kommen möchte, denn diese müssen zunächst fragen, was damit genau gemeint ist. Um hier einen Klärungsversuch zu leisten, möchte ich zunächst die beiden Wortbestandteile getrennt betrachten – denn beide sind schon für sich genommen außerordentlich klärungsbedürftig.

Terminologische Klärungsversuche

Was ist Religion?

In der komplexen Debatte lassen sich zwei Grundtypen der Religionsdefinition unterscheiden. Auf der einen Seite stehen „substantielle“ Religionsdefinitionen, die inhaltlich einen Bezug auf Gott, Heiliges oder Transzendentes voraussetzen. Auf der anderen Seite stehen „funktionale“ Religionsdefinitionen, die nach der Leis-?tung von Religion für Individuum, Gesellschaft oder Kultur fragen. Religion konstruiere beispielsweise Sinn, antworte auf existenzielle Fragen und ordne unerklärliche Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang ein. Die offene funktionale Definition hat den Vorteil, nicht aus einer zu engen Perspektive über Religion im Vorwege zu urteilen, bevor man überhaupt ihre vielfältigen Formen wahrgenommen hat. Sie hat den Nachteil, dass der Religionsbegriff dann sehr weit wird und die Abgrenzung, wo Religion beginnt und endet, schwierig wird - „Religion Fußball“ ist ein prominentes Beispiels dafür.Um die Vorteile beider Zugänge möglichst groß und die Nachteile möglichst klein zu halten, schlage ich vor, beide Zugänge in einem weiten Sinne anzuwenden und die nötige Begrenzung des Gegenstandes durch ihre Kombination herzustellen. In der funktionalen Linie scheint mir der Bezug auf existenzielle Fragen, die das Fassbare und Messbare übersteigen, ein geeigneter weiter Zugang. Wenn sich dieser mit der (ebenfalls weiten) substanziellen Kategorie des Bezugs auf eine transzendente Größe verbindet (was auch religionssoziologisch gut an Niklas Luhmann anschließt), kann Religion sinnvoll von Nichtreligion unterschieden werden. Religion definiere ich also vorläufig als die Bearbeitung existenzieller Fragen im Horizont einer transzendenten Größe.

Was ist Kommunikation?

„Kommunikation“ ist ein ebenso weiter Begriff, der sowohl alltagssprachlich als auch als Fachbegriff unterschiedlicher Disziplinen gebraucht wird. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Kontexten, dass zur Kommunikation immer mindestens zwei Größen gehören, die beide immer aktiv am Kommunikationsvorgang beteiligt sind und als Subjekte angesehen werden. (4) Kommunikation beschränkt sich keinesfalls auf das gesprochene Wort und die intendierte Mitteilung, sondern findet verbal und nonverbal, intendiert und nicht intendiert, bewusst und unbewusst statt. Kommuniziert wird mit Worten, Taten, Gesten, Blicken, Symbolen, Ritualen, Atmosphären, Einrichtungen, Kleidungsstilen etc. Für Theologie und Kirche bedeutet dies, im Sinne eines religionsästhetischen Ansatzes das Spektrum intendierter und unbewusster Kommunikationen im Blick zu haben, die sie tätigt. In reformatorischer Tradition ist dabei ein besonderes Augenmerk auf Kommunikationsformen jenseits des Wortes zu legen. Kommunikation ist weiter nicht auf die Kommunikation unter Anwesenden beschränkt, sondern bedient sich vielfacher Medien. Kommunikation hat schließlich zwar in der Regel Ziele, aber das Resultat eines Kommunikationsvorgangs ist grundsätzlich offen. Es ist nicht machbar und planbar, dass die intendierten Inhalte vom Gegenüber genau so verstanden werden. (5) Erst recht gilt dies für die Kommunikation über religiöse Themen, denen eine besonders große Deutungsoffenheit eigen ist. Zudem rechnen wir christlicherseits immer mit Gott als dritter Größe im Kommunikationsvorgang – theologisch als Wirken des Geistes beschreibbar. Gleichwohl ist es nicht gleichgültig, wie kommuniziert wird – den eigenen Part kann man angemessener oder weniger angemessen gestalten. Diese Spannung scheint mir für die Kommunikationsbemühungen in der evangelischen Jugendarbeit besonders wichtig zu sein.

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