Wolfgang Noack: Alexa, wohin gehen wir?

Als die Tagesthemen vor einiger Zeit über den sprachgesteuerten Assistenten Alexa von Amazon berichteten, geschah dies mit einem kleinen Dialog. Ein Ehepaar mittleren Alters unterhält sich darüber, wo sie ihren Hochzeitstag feiern sollen. Einer kam auf die Idee Alexa zu befragen. Über die Antwort der Stimme aus dem Netz gab es dann doch bei beiden lange Gesichter. Statt die Adresse eines romantischen Lokals vorgeschlagen zu bekommen, wartete Alexa mit einem Etablissements im Rotlichtmilieu auf, mit der Begründung: der Mann surfe doch täglich auf Pornoseiten und da wäre diese Location doch genau der richtige Ort. Bums! Nun stand er aber ganz schön im Regen. Dass die künstliche Frauenstimme aus dem Off in der Lage ist, sämtliche angefallenen Daten zu verknüpfen, damit hatte er nicht gerechnet.

3,5 Milliarden Suchanfragen gehen täglich bei Google ein. Dafür interessieren sich aber mittlerweilen nicht nur Werbekunden - die diese Anfragen nach einem bestimmten Algorithmus verbinden - sondern auch Strafverfolgungsbehörden. „Behörden, Gerichte und Parteien in zivilen Gerichtsverfahren fordern regelmäßig Nutzerdaten bei Technologie- und Telekommunikationsunternehmen an“, heißt es bei Google. (Im ersten Halbjahr 2017: in den USA 24.000 Auskunftsersuchen, in Deutschland 7.700. SZ 18.4.18)

Diesem Begehren trägt auch das 2017 in Kraft getretene „Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafvollverfahrens“ Rechnung. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Alexa bei Strafverfahren in den Zeugenstand geladen wird.

Begonnen hat das Ganze vor gut zehn Jahren, als Apple-Chef Steve Jobs vor seine Anhänger trat und eine revolutionäre neue Technik präsentierte: ein Smartphone. Seither sind wir permanent online, wischen auf dem Bildschirm herum, tippen, teilen, liken bis die Augen zufallen. Facebook, Google und Co bauten auf dieser Wundermaschine ihr Geschäftsmodell auf. Dabei ist es doch eigentlich so wunderbar: Von (fast) jedem Fleck der Erde mit anderen in Kontakt zu treten, zu allem etwas sagen zu können und zu jeder Tages- und Nachtzeit sich das Wissen der Welt auf den neun mal fünf Zentimeter großen Bildschirm holen zu können (sorry, ich tippe noch auf einem IPhone 5S herum).

Es könnte alles so schön sein, wenn nicht hinter diesen grenzenlosen Möglichkeiten ein handfestes Geschäftsmodell stecken würde, wenn sich nicht Einfallstore für Kontrolle und Manipulation geöffnet hätten und wenn sich nicht die Informationsbeschaffung und das Kommunikationsverhalten in der Folge verändern würden. Nun ist ja die Kündigung des Accounts, die Anschaffung eines 30-bändigen Lexikons und die Wiederbelebung der Briefkommunikation mit den Freunden auch keine Alternative.
Nur: wenn wir mit Alexa, Facebook und Google unter einem Dach leben, sollten wir auch unsere Feinde kennen.

Carolin Emcke berichtet in einem Essay in der Süddeutschen Zeitung über das Buch von Bernhard E. Harcourt, der an der Columbia University in New York lehrt. Harcourt analysiert drei Trends im amerikanischen Regierungshandeln (denen wir bald folgen könnten). Erstens, das Überwachen und Sammeln persönlicher Informationen und der privaten Kommunikation (durch Geheimdienste und private Firmen); zweitens, eine Minderheit der Bevölkerung als feindlich und nicht dazugehörend zu definieren; und schließlich „winning the hearts and minds of Americans“, also „die Ablenkung und Unterhaltung des Rests der Bevölkerung“.  Aus dieser düsteren Analyse schließt Carolin Emcke, dass „die permanente Kommunikationsdynamik zur Autohypnose einer Bevölkerung“ führe, „die gut gelaunt zuschaut, wie Grundrechte abgebaut werden“. 


Soviel Information war noch nie

Wer will, kann sich heute alle Informationen beschaffen, kann sich von hunderten Fernsehkanälen über alle Ereignisse und Hintergründe berichten lassen, kann sich durch Zeitungen und Magazine quälen, im Netz Analyse finden und sich in den Sozialen Medien von Berufenen und Überzeugten alles kommentieren lassen. Es ist manchmal wie das Trinken aus einem Feuerwehrschlauch: man ist hinterher nass, hat aber immer noch Durst. Nicht die Informationsbeschaffung ist das Problem sondern der ausbleibende Diskurs. Die Krise des Diskurses beginnt aber nicht mit dem Facebook-Algorithmus oder populistischen Störsendern, die falsche Nachrichten verbreiten, sie beginnt, schreibt Anna Sauerbrey im Berliner Tagesspiegel, „in dem Moment, in dem Individualisierung in Entgesellschaftung umschlägt; in dem Moment, in dem wir anfangen, uns und unsere Perspektive als ausreichend zu empfinden, um die Welt in ihrer Gänze zu erfassen (Tagesspiegel 2016). Die Information alleine reicht noch nicht aus. Aber darauf hat Alexa wohl auch keine Antwort.

Die Stärke von (Jugend-) Bildungsarbeit war es schon immer, Debatten zu führen, sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzumischen, zu streiten, hart nachzufragen und Widersprüche aufzudecken. Diese Kompetenz muss neu belebt werden. Dabei wird es nicht ausreichend sein, likes und dislikes zu vergeben oder online-Petitionen zu unterzeichnen.
„Das Skandalöse an einem Skandal“, schrieb Simone de Beauvoir einmal, „ist, dass man sich daran gewöhnt.“ 

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