Wolfgang Noack: Der Wandel der Helden

In dem „Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste“, das 1735 in Leipzig erschien, wird der Held als einer beschrieben, „der von Natur mit einer ansehnlichen Gestalt und ausnehmender Leibesstärcke begabet, durch tapfere Thaten Ruhm erlanget, und sich über den gemeinen Stand derer Menschen erhoben.“
„Leibesstärke, Tapferkeit, Ruhm“. Es liegt wohl daran, dass diese Definition immer noch im Hinterkopf nistet, wenn mir bei dem Wort Helden zuerst immer dieses martialische Denkmal in der Hamburger Innenstadt vor Augen kommt. 1934 schrieb der nationalsozialistische Senat in Hamburg einen Wettbewerb für ein Heldendenkmal zu Ehren des Hamburger Infanterieregiments 76 aus. Herausgekommen ist ein Kriegsklotz. Das Relief zeigt 88 Infanteriesoldaten, die in Viererreihen um den Block des Denkmals marschieren, darüber die Inschrift: „Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen“. (1985 hat Alfred Hrdlicka gegenüber ein Mahnmal gegen den Krieg errichtet).

Kriegerdenkmäler hießen diese Erinnerungsorte im Volksmund, die in fast jedem Dorf zu finden sind. Von gefallenen Helden ist dort manchmal immer noch auf der Inschrift zu lesen, aber irgendwie wirkt das alles wie aus der Zeit gefallen. Hinterlässt ein Krieg wirklich Helden? Auch wenn sich die heutige Verteidigungsministerin zusammen mit bis an die Zähne bewaffneten Soldaten (Helden?) vor einem Panzer ablichten lässt und ihr Vorgänger noch einen Heldengedenktag (er nannte es 2012 Veteranentag) für diese Berufsgruppe wiederbeleben wollte, so sind die wirklichen Helden heute auf anderen Feldern zu finden.

In der Öffentlichkeit werden heute Menschen als Helden gefeiert, die als Feuerwehrleute von Ground Zero versuchten Menschen aus den brennenden Türmen des World Trade Centers in New York zu retten oder die sich als Helfer in den Reaktor von Fukushima trauten (oder geschickt wurden). Eine Heldin ist heute die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai aus Pakistan, der 2014 der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Der amerikanische Whistleblower und ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden muss wohl noch etwas warten, bis er für seine Aufklärungsarbeit diesen Preis zugesprochen bekommt. Ein Held ist er weiten Kreisen aber heute schon. Die Liste der modernen Helden ist lang, von Mutter Theresa bis Nelson Mandela und je nach politischer Einstellung kommen Gandhi, Che Guevara oder die Geschwister Scholl hinzu.
Im Gegensatz zu den Kriegshelden, die sich stolz für das Vaterland opferten (oder gezwungen wurden) sprechen wir heute eher Menschen den Heldenstatus zu, die sich gegen etwas einsetzen und dabei auch einiges wagen: gegen die Unterdrückung von Völkern, gegen die Benachteiligung von Mädchen bei den Taliban, gegen das Ausschnüffeln von Staaten und Individuen. Wenn das kein Fortschritt ist!

Warum ein Heft über Helden? Weil die Sehnsucht nach Helden auch im postheroischen Zeitalter nicht verschwunden ist. Neue Helden erobern die Köpfe der Jugendlichen und der Erwachsenen, weil es scheinbar ein Bedürfnis nach Helden gibt: Spiderman und Harry Potter, Lara Croft und Max Payne. „Helden“, so schreibt Christian Peitz in seinem Beitrag, „stellen die Verkörperung eines Idealbildes dar. Die Kinder und Jugendlichen träumen sich in die Welt der Helden hinein und orientieren sich an ihnen“. (Schauen Sie mal in einen aktuellen Katalog von Lego: „Nexo Knights - der Ritter der Zukunft“; „Ninjago - Meister des Spinjitzu“ und natürlich „Star Wars“). Kinder und Jugendliche, so der Pädagoge Peitz, brauchen ihre Helden und sollen sie auch haben, sofern es sich um solche handelt, die sich der Würde und Menschlichkeit verpflichtet fühlen. Dies zu hinterfragen und zu unterscheiden sollte Inhalt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sein. Die regt Peitz mit einigen Fragen dazu an (s. S.6 in  diesem Heft).

Die letzte Umfrage bei Jugendlichen, wer denn ihr Held sei, ist schon ein paar Jahre alt. Die Community qeep fragte nach, und heraus kam folgendes Ranking: Sieger wurde Superman gefolgt von Gott. Danach kamen Brad Pitt und der Zauberlehrling Harry Potter. Die größten weiblichen Helden sind abgeschlagen. Angela Merkel und Pippi Langstrumpf folgen erst weiter hinten.
Nun wird der Heldenbegriff vielleicht auch etwas inflationär gebraucht. Ein Bier wirbt mit „Wahre Helden stehen mitten im Leben“, es gibt die Helden der „Buchhaltung“ und der „Volksmusik“, natürlich die Helden auf dem Fußballplatz und die Helden der Nacht. Beruhigt hat mich dann doch kürzlich ein Plakat (auch im Internet zu finden). Zu sehen war: ein Mann, ein Traktor und die Aufschrift „Nur ein Held geht auf´s Feld“. Zogen die vermeintlichen Helden der Kriegsdenkmäler noch martialisch in das Schlachtfeld, wird hier ein Held gefeiert, der die Menschen ernährt.

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Weiterlesen im Heft 4/16