Wie viele verschiedene Gummibärchen leben eigentlich hier? Warum mögen die roten Bärchen die grünen nicht? Und warum kleben die gelben und weißen Gummis andauernd zusammen. Seit neuestem soll es ja auch blaue Bärchen geben; na, wenn die erst hier auftauchen ... .
Bleibt die Tüte mit den bunten Gummibären geschlossen, treten die Konflikte nicht so sehr zum Vorschein. Kaum geöffnet, geht das Dilemma los: die einen werden bevorzugt (gegessen), die anderen bleiben zurück oder kleben in einer Ecke zusammen. Das Leben im Sozialraum nimmt seinen Lauf.
Professor Wolfgang Hinte, der an der Universität Duisburg-Essen sozialraumorientierte Arbeit lehrt, geht noch einen Schritt weiter. Hat man einen Haufen bunter Gummibärchen, so sein Beispiel, und daneben einen nur mit roten Bären und legt nun die roten in die Mitte der bunten Bärchen, dann ist das Integration. Werden aber von Anfang an die roten Gummibärchen zwischen den bunten gelegt, dann ist das Inklusion. Hinte gibt dieses Beispiel für das Zusammenleben im Stadtteil, im Dorf, eben in einem Sozialraum. Dabei will er nicht die Menschen verändern („Das ist ein unmögliches Unterfangen, das noch nie funktioniert hat“), sondern die Verhältnisse gestalten, gute Lebensbedingungen herstellen.
Der Begriff Sozialraum hat seinen Ursprung sowohl in der Stadtsoziologie als auch in der Pädagogik und ermöglicht es, die räumliche Umgebung zu analysieren und in Verbindung mit dem sozialen Handeln zu bringen. Orientiert man sich bei der eigenen Arbeit an diesem Ansatz, nennt Hinte vier Schritte für das weitere Vorgehen. Erstens: Den Menschen zuhören (Was wollen die Menschen? Was stört sie am meisten? Was wollen sie erreichen?); Zweitens: Den Menschen dabei helfen, etwas selbst zu tun (sich nicht zurücklehnen und nur schimpfen, vielmehr sollen sie aktiv mitarbeiten); Drittens: Die Fähigkeiten und die Stärken erkennen. Schließlich viertens: Mit allen zusammen arbeiten (Die Soziale Arbeit ist der Vermittler zwischen den verschiedenen Menschen).
„In einem Stadtteil oder in einem Dorf gibt es die unterschiedlichsten Räume, in denen Menschen oder Kulturen bzw. Teilkulturen zusammen leben“, sagt der Hamburger Pädagoge Benedikt Sturzenhecker in dem baugerüst-Gespräch (s. Seite 36). „Sie alle leben in diesem Raum, handeln darin und erzeugen ihn damit.“ Von daher, so Sturzenhecker weiter, kommt Jugendarbeit gar nicht umhin, die Sozialräume der Kinder und Jugendlichen zur Kenntnis zu nehmen. Professionelle in dieser Arbeit „müssen wissen, wer ist noch hier an diesem Ort, was tun die anderen, wie sehen sie die Welt, wo haben wir gemeinsam etwas zu entscheiden, wo sind die Konflikte?“
Es geht also um die Wahrnehmung des eigenen Raumes: „Meine Stadt, mein Viertel, meine Gegend, mein Zuhause, mein Block“, wie Claudia Schulz in ihrem Beitrag schreibt. Für sie führt ein sozialraumorientiertes Vorgehen mindestens auf zwei Wegen zum Gewinn. „Einerseits fordert es von den Verantwortlichen in Kirche, Gemeinde und anderen Bereichen der Bildungsarbeit, Zielgruppen nicht nur in ihren Lebensverhältnissen und örtlichen Gegebenheiten wahrzunehmen, sondern die Arbeit stringent auf Bedeutungsräume der Menschen und deren Beschaffenheit auszurichten“.
Dies gilt für alle Bereiche: für die Arbeit im Stadtteil, in einer Kirchengemeinde oder eben auch für Jugendarbeit. Claudia Schulz sieht hierin eben auch die Chance, religiöse Kommunikationsräume zu gestalten.
Für Ulrich Deinet bedeutet sozialräumliches Arbeiten, sich immer wieder „an den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen zu orientieren, die Veränderungen wahrzunehmen und die jeweiligen Konzepte daraufhin zu verändern“. Das heißt nicht, jedem Modetrend hinterherzulaufen oder auch alle Aufenthaltsbereiche von Jugendlichen pädagogisieren zu wollen. Wo und wie leben die Kinder und Jugendlichen im Stadtteil, im Dorf, in der Schule? Wo verbringen sie ihre Freizeit? Wo stoßen sie auf Widerstände? Wie können sie soziale Räume mitgestalten und verändern? Dies alles wahrzunehmen ist eine grundsätzliche Herangehensweise an die eigene Arbeit.
Dies gilt auch für die Arbeit mit jungen Geflüchteten. Evangelische Kinder- und Jugendarbeit engagiert sich in diesem Bereich. Will diese Arbeit gelingen, ist gerade hier die Analyse des sozialen Raumes Voraussetzung (s.a. www.evangelische -jugend.de/sozialraeumlichwirken/die-dokumentation).
Sozialraumorientiertes Arbeiten „braucht Zeit, braucht Kommunikation und Beteiligung“, schreibt Ulla Taplik in dem standpunkt dieses Heftes. Auch wenn die Ressource Zeit eher eine Mangelware ist, bleibt dieser Ansatz unerlässlich für professionelles Handeln.
Gibt es eine Alternative? Bei den bunten Gummibärchen schon. Die Firma Haribo bietet ihre Goldbären in einer Packung mit 100 Beutel zu je zehn Gramm an. Hier bleiben dann die einzelnen Gruppen unter sich (gefangen). Möglich wäre es noch, die Bären einzeln zu verpacken, damit Ruhe im Sozialraum herrscht. Friedhofsruhe.
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