Annika Falk-Claußen: „Ich bin doch kein*e Rassist*in!”

Die Kirche und evangelische Jugendarbeit möchte sich gerne offen und tolerant zeigen, genau wie mir persönlich wird sich in diesen Reihen niemand vorwerfen lassen, ein*e Rassist*in zu sein. Dennoch muss man selbstkritisch hinterfragen, wie hoch der Anteil der Menschen in unseren Gremien und Kirchenleitungen ist, der nicht weiß ist.Aufschlussreich ist einführend die Studie zu islam- und muslim*innenfeindlichen Einstellungen in der Evangelischen Jugend der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej), die Onna Buchholt und Olga Janzen in dieser Ausgabe (ab S. 6) vorstellen und Ansatzpunkte skizzieren, um Jugendverbandsarbeit rassismuskritisch weiterzuentwickeln.

Bendix Balke versucht, in seinem Beitrag (ab S. 15) Antworten darauf zu finden, warum nur wenige Migrant*innen von evangelischer Jugendarbeit erreicht werden. Denn unumstritten ist auch die evangelische Kirche voll von Vorurteilen und Alltagsrassismus. Viele Gemeinden haben den Trend zur interkulturellen Öffnung noch nicht vollzogen. „Eine rassismuskritische Organisationsentwicklung steckt noch in den Kinderschuhen”, resümiert Roger Schmidt in seinem selbstkritischen Standpunkt (ab S. 34). „Wir brauchen ehrliche, länger dauernde und oft schwierige Prozesse, um zunehmend weniger diskriminierend zu werden. Diese Prozesse  müssen geleitet oder zumindest unterstützt werden von Menschen, die von Rassismus betroffen sind.”

Machverhältnis umdrehen

Denn weiße Menschen wie ich werden nie die Diskriminierung nachvollziehen können, die meine Interviewpartner Sarah Vecera schon ihr Leben lang begleitet. Das hat sie mir im Gespräch deutlich gemacht. Dieses Gefühl des Ausgrenztwerden wegen eines Namens, wegen Haut- und Haarfarbe oder der eigenen Religion, das viele Menschen spüren müssen, werde ich nie verstehen.  Ich merke immer wieder, wie ich unsicher werde, weil ich niemanden verletzen oder ausgrenzen möchte. Denn meist steckt hinter meinen Fragen ehrliche Neugierde auf den Menschen – unabhängig von Kultur, Herkunft oder Lebensweise. Was darf man sagen oder fragen, welche Bezeichnung ist nicht diskriminierend?

Geholfen hat mir das Gespräch mit Sarah Vecera, die mich für ihre Schreibweise begeistert hat. Indem sie Schwarz groß und weiß kursiv schreibt, soll deutlich werden, dass es nicht um tatsächliche Farben geht: „Schwarz groß, um den Empowerment-Effekt drin zu haben, um das Machtverhältnis umzudrehen. Und weiß nicht groß, sondern kursiv, um deutlich zu machen, es geht nicht um eine Farbe, sondern darum, die Schräglage der Machtverhältnisse umzudrehen.” (S. 22f) Sie gehört aktuell eindeutig zu den wichtigsten (kritischen) Stimmen innerhalb der evangelischen Kirche und ihr Buch „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus” kann ich jedem ans Herz legen.

Es gibt innerhalb der evangelischen Jugend viele Projekte, die für das Thema Rassismus sensibiliseren. So stellt Marcel Renner das größte Schulnetzwerk in Deutschland, nämlich „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage” exemplarisch vor (S. 38f). Um das Verständnis untereinander zu stärken und Vorurteile abzubauen, gibt es etwa globales Lernen mit Konfis, das Miriam Meir (S. 42f) vorstellt.  Bei der Arbeit an dem Heft sind mir viele passende Bücher über den Weg gelaufen, weshalb die Rezensionen in diesem Heft bewusst umfangreich sind, damit Sie bei Interesse weiterlesen können. Wir sind bei der Beschäftigung mit und Bekämpfung von Rassismus erst am Anfang, das zeigt auch diese Ausgabe. Und klar ist: Wir müssen sehr viel selbstkritischer sein! 

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