Annika Falk-Claußen: Ihnen steht die Welt offen

Bis zum Schulabschluss haben Jugendliche ihre festen Bezugspersonen, ihre Netzwerke, die teilweise seit Kinder-gartentagen bestehen. Durch die Schule haben alle einen ähnlichen Tagesablauf, sind dadurch eine relativ homogene Zielgruppe. Danach werden die Lebenswege und Interessen differenzierter, zumal diese Generation so mobil ist wie keine zuvor. 

Ihr steht die Welt offen – sowohl in Bezug auf Ausbildung und Studium, als auch auf Wohnort und Lebensform. So war es auch bei mir. Ich bin eine Vertreterin dieser jungen Erwachsenen-Generation, zugegeben am oberen Ende der Altersspanne. Nach dem Abitur bin ich zum Studium in eine 250 Kilometer entfernte Stadt gezogen, später noch weiter ins Ausland, habe Familie und Freunde nur noch an den Wochenenden gesehen. Habe die ehrenamtliche Arbeit in der Kirchengemeinde dadurch beenden müssen. 

Das Neue war aufregend. Auf eigenen Beinen stehen, einen eigenen Haushalt führen, viele neue Leute kennen lernen, Input durch das Studium und ehrenamtliche Arbeit rund um die Uni bekommen, unzählige Angebote – kulturell, musikalisch, sportlich – in einer Großstadt erleben. In den Ferien habe ich anfangs noch bei der Jugendfreizeit mitgeholfen, die ich seit einigen Jahren begleitet hatte. Meinen Glauben habe ich auch nie verloren, aber den Bezug zu einer Gemein-de oder einem Verband sehr wohl. Zu oft bin ich in den Jahren umgezogen. Immer wenn ich versucht habe, wieder in einer Gemeinde Fuß zu fassen, folgte schon der nächste Umzug. Erst jetzt, als Mama einer kleinen Tochter, zurück in der Heimat, habe ich wieder ans Gemeindeleben angeknüpft.

Ein Stück weit zählt für mich also der alte Grundsatz „Spätestens zur Taufe der Kinder kommen sie schon wieder”. Doch darauf kann man sich heute nicht mehr verlassen, wie Thomas Schlag, Theologieprofessor aus Zürich, im Inter-view erzählt. Mit ihm und meinem Kollegen Michael Freitag habe ich über dieses spannende Alter gesprochen und wie Kirche diese Zielgruppe erreichen kann.

Doch wer sind eigentlich diese „jungen Erwachsenen”? Dieser Frage geht Annika Schreiter in ihrem Beitrag nach. Wa-rum treten so viele von ihnen aus der Kirche aus, wenn sie das erste Mal Steuern zahlen müssen? Auf die Ergebnisse der „Freiburger Studie” blicken die Autoren Fabian Peters und David Gutmann in einem Artikel. Da sind einerseits die, die ihren Glauben in diesem Alter verlieren, aber auch ein gewisser Prozentsatz junger Menschen, die als hochreligiös gelten. Beiden Aspekten gingen Tobias Faix und Tobias Künkler wissenschaftlich nach und haben dazu zwei Beiträge für diese Ausgabe geschrieben. 

Während der Vorbereitung auf dieses Heft haben wir im Redaktionskreis gezweifelt, ob es genug gelungene Projekte für diese Zielgruppe gibt. Doch bei der Recherche war schnell klar, dass es zahlreiche spannende Ansätze gibt. Einige Projektverantwortliche schildern ihre positiven Erfahrungen, beschreiben Herausforderungen und Niederschläge. So wie Sabine Janssen, die in Esslingen mit einem Team die christ-liche Kulturveranstaltung „Secret Places” durchführt. 

Oder Thomas Henning, der von seinen Erfahrungen vom Religionsunterricht an einer Berufsschule berichtet. Michael Wolf, der mit einem Team zu Musikfestivals fährt, um dort die jungen Menschen zu erreichen. Einen Blick über Deutsch-lands Grenzen hinaus gewährt uns Michael Götz, der von einer inspirierenden Studentenbewegung in Hong Kong be-richtet, die bald in Deutschlands adaptiert werden soll. Wir hoffen, dass wir Ihnen, liebe Leser*innen, mit diesem Heft ein wenig dabei helfen können, diese Zielgruppe besser zu verstehen, dass wir Anregungen geben können, welche Angebote oder welche Räume zur eigenen Gestaltung die jungen Erwachsenen brauchen, damit die Kirche nicht den Kontakt zu ihnen verliert.

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