Benjamin Heimerl: Leben wir in einer Rüpel-Republik?

Stellen Sie sich vor: Sie sitzen im Zug, ein Smartphone klingelt und ihr Mitfahrer nimmt ab. Doch anstatt „Ich kann gerade nicht, ich bin im Zug“ zu antworten, geht es los: Nach einer kurzen Einleitung brechen alle Dämme: „Was? Die sind jetzt geschieden? DAS musst du mir erzählen!/ Klar schläft der mit seiner Sekretärin, das weiß doch da jeder!/ Den hab ich schon ein paar Mal betrunken am Schreibtisch gesehen!/ Das war eindeutig Abseits am Samstag/ Unser kleiner hat mal wieder Durchfall, total flüssig…“ Ich erspare Ihnen den Rest. Am Bahnhof geht es dann weiter: die Menschen schubsen rücksichtslos, es wird gedrängelt und gepöbelt. Man will ja schließlich den Anschlusszug erwischen, sonst droht Ungemach mit dem Chef. Den Abschluss bildet dann das Büro: Auch hier wird rücksichtslos intrigiert um nach oben zu gelangen, die Kollegen sind keine Kollegen, sie sind Konkurrenz im immerwährenden Kampf „to the top“: Dass „oben“ schon lange nicht mehr „vorne“ ist, wissen dabei nur die Wenigsten.

Sind wir zu einem Volk der Rücksichtlosen, der Anblaffer und Schreihälse geworden? Haben wir in unserer Ich- Gesellschaft tatsächlich nahezu alle sozialen Spielregeln über Bord geworfen und agieren uns an unserem Gegenüber nur noch als Sparringspartner für den eigenen Erfolg mit den Ellenbogen ab? Haben wir das solidarische Miteinander verlernt? Und wenn ja: Warum? Gelten Worte wie Nachbarschaft, Zusammenhalt und Miteinander nichts mehr? Verrohen wir gar in den Sitten und im menschlichen Umgang? Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Frage wird nicht abschließend beantwortet werden. Es zeigen sich jedoch gewisse Trends in unserer Gesellschaft, die Ihnen mit Sicherheit auch schon begegnet sind und die die hier gestellte Frage zulässig machen. Doch was sind die Gründe für die angenommene Verrohung der Sitten in unserem Land? Sind es die Medien? Hier liegt mit Sicherheit viel im Argen, doch allein die Medien können es nicht sein. Ist es die Politik? Auch hierhin lohnt sich ein Blick. Nicht umsonst jährte sich die Einführung der „Hartz IV- Gesetze“ 2015 zum zehnten Mal. Oder ist es gar das Internet? Was wir täglich erleben, ist mittlerweile erschütternd: Das Ausmaß an offenem Hass, Beleidigung und Herabsetzung ist bedrückend geworden. Ich denke, dass nur all diese Dinge zusammen, in ihrer Wechselwirkung, ein Klima wie das gegenwärtige erschaffen konnten. Dem geneigten Leser ist es aber unbenommen weitere Erklärungen anzufügen.

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Weiterlesen im Heft 3/16