Es geht nicht um dich...

von Jenny Wilke.

„Es geht nicht um dich, es geht um die Revolution“, wurde ich nach einem Gespräch über das Demokratiebildungsprogramm „Betzavta“, dessen im deutschen Kontext gebrauchter Name auf hebräisch „Miteinander“ bedeutet und das ich noch vorstellen möchte, zitiert und diese Aussage gefiel sowohl der Redaktion als auch mir selbst. Woher nun unsere Affinität zur Revolution? Ich kann für mich sprechen, dass meine jahrelange Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, in der ich sicher schon viele Einzelne erreichen und bestärken konnte, mich doch auch immer wieder zweifelnd zurücklässt: Ist es wirklich sinnvoll, was ich tue? Kann ich dadurch etwas bewirken? Ist mein Beitrag, in Anbetracht gesellschaftlicher Realitäten, groß genug? Auch der sprichwörtliche Kampf gegen Windmühlen, beispielsweise strukturelle, bürokratische oder finanzielle, ist mir vertraut. Der Wunsch nach einer tiefgreifenden, durchgehenden gesellschaftlichen Veränderung, die ich nicht allein bewirken kann, hin zu mehr Gerechtigkeit, Würde und Freiheit für alle, die ich vielleicht als Idee der Revolution verstehe, liegt dann nah. Doch auch das „Es geht nicht um dich“ findet in mir Resonanz, wenn ich erlebe, dass viele Erwachsene und Kinder, mit denen ich arbeite, sehr auf ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse fokussiert sind und die Gemeinschaft aus dem Blick verlieren.

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Es braucht beständige, kontinuierliche Demokratielern- und Erfahrungsmöglichkeiten in und außerhalb von Kindergärten und Schulen, in Familien, Vereinen, Gemeinden, im Stadtteil, auf der Straße. Demokratie als ein lebenslanges und alle Lebensbereiche durchdringendes Lern- und Entwicklungsprojekt für alle, das ist es, was wir fordern müssen. Zu dem wir alle unseren Beitrag leisten und uns fragen müssen: Was kann ich tun? Wo und wie kann ich es tun? Wem nützt es? Für wen und mit wem tue ich es? Wen schließe ich aus? Wovon gehe ich aus? Was oder wen übersehe ich? Damit wir selbst zu demokratischen Mulitplikator*innen werden, entsprechend der Erfahrung des stets die Qualität der Beziehung und des Dialogs hochhaltenden Familientherapeuten Jesper Juul: „Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun.“ Es geht insofern nicht um mich, das Ich, wenn dies meint, dass nur meine individuellen Belange zählen, sondern es geht um das Wir, in dem die Belange aller Platz haben und gemeinsam verhandelt werden müssen. Andererseits geht es in der Demokratie immer um alle Einzelnen, von denen die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme ausgeht und der Wille zur Egalität und Freiheit jedes Menschen aktiv in der Welt gestaltet wird. Um eine stetige Revolution der Demokratie um der Demokratie willen.