Gernot Bach-Leucht: Wie kommt Gendergerechtigkeit in die Evangelische Jugendarbeit?

Es war schon immer so?!

Die Genderfrage ist schon lange Gegenstand Evangelischer Jugendarbeit. Es gibt Mädchenarbeit und Jugendarbeit, Mädchengruppen und Jungengruppen, Freizeitmaßnahmen, bei den Jungen oder Mädchen ausschließlich Zielgruppe sind. Bei Teilnahmelisten – auch für die Beantragung von Fördermitteln – wird in der Regel das Geschlecht abgefragt. Auch im Umgang mit männlich dominierter Sprache hat sich inzwischen eine Sensibilität, wie die oben erwähnte „Teilnahmeliste“ oder auch „Teilnehmendenliste“ statt der Teilnehmerliste deutlich zeigt.

Gegenderte Angebote fallen höchst unterschiedlich aus. Neben Traditionsangeboten, die festgeschriebene Rollenmuster verfestigen, wie Fußballtreffs für Jungs und Kreativworkshops für Mädchen, gibt es solche, die scheinbar bisher nicht oder nicht sehr intensiv entwickelte Fähigkeiten fördern sollen, wie eine Motorradwerkstatt für Mädchen oder eine Nähstube für Jungs.

Und was ist neu?

Hinter Gendergerechtigkeit verbirgt sich Vieles. Es geht nicht allein um den Unterschied Mädchen/Junge oder Frau/Mann. Aber, wenn es darum geht, ist die erkenntnisleitende Frage oft, inwiefern sich dort Ungerechtes zeigt – Benachteiligung von Mädchen und Frauen, Ausgrenzung von ihnen aus bestimmten Lebensbereichen, eine Sprache, die weibliche Menschen nicht wahrnimmt, demzufolge auch nicht benennt und unsichtbar macht.

Gerade in letzter Zeit infolge von coronabedingter Digitalisierung gibt es Module wie Videokonferenzen, die in alte längst überwunden geglaubte Muster zurückfallen. Schließlich geht es immer auch um eine Bewertung dessen, was wahrgenommen wird: Debattiert man darüber, ob nicht die Jungen die neuen Bildungsverlierer seien, oder nimmt man auch in den Blick, dass Männer in der Regel Karriere- und Verdienstgewinner sind.

Wenn man sich mit Gendergerechtigkeit befasst, geht es auch darum, welche Lebensmodelle bzw. welche Vielfalt von Lebensmodellen man wahrnimmt – insbesonders, wenn es sich dabei um lesbisch-schwule Lebensmodelle handelt. Bei Gendergerechtigkeit geht es auch um die Frage, inwieweit Erkenntnisse zur Vielfalt der Geschlechter über die binäre Zuschreibung hinaus Bedeutung beigemessen wird. Spätestens seit Judith Butlers „Gender trouble” ist die Vielfalt der Geschlechter benannt und in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs eingespielt, wenngleich dieser Impuls in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunächst auch nur sehr zögerlich aufgenommen wurde und erst jetzt an Bedeutung gewinnt.

Schließlich geht es bei Gendergerechtigkeit auch darum, wie dieses Thema theologisch und als Gegenstand der Frömmigkeit bewertet wird. Wir leben ja nicht allein in Zeiten, in denen man sich mit der Vielfalt der Geschlechter beschäftigt, sondern auch in einer Evangelischen Kirche, in der es eine Vielfalt von theologischen Deutungsmustern und Frömmigkeitsausprägungen gibt. So halten die einen Homosexualität für Sünde und beten dafür, dass Gott diese Sünde von uns nehmen würde… also eigentlich ja nicht von uns, sondern vom Gegenüber, der Person, die sich als lesbisch oder schwul geoutet hat. Die anderen feiern die von Gott geschenkte Freiheit mit einer nicht-binären Sicht- und Lebensweise. Die dritten schließlich mahnen an, dass feministische Forderungen – auch feministisch-theologische Forderungen, die seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts formuliert wurden, durch die aufkommende Genderdebatte nicht obsolet werden dürfen.

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