Hans Heinz Hopf: Angst-, Alb- und traumatische Träume während der Pubertät - Bedrohung der kindlichen Identität

Kommt ein Kind in die Pubertät, befindet sich mit einem Mal eine kindliche Seele in einem körperlich reifen Erwachsenenleib. Der Körper hat das Kind nicht gefragt, ob es die Verwandlung samt den überwältigenden und ängstigenden Gefühlen überhaupt möchte, und ob es ihr zustimmt. Er erzwingt die seelischen Veränderungen einfach, und die Seele muss sich dieser inneren Entwicklung anpassen. Infolgedessen muss sich vor allem die Vorstellung vom eigenen Körper verändern und in ein neues Bild eingegliedert werden. Für die psychologische Anpassung – oder seelische Umstrukturierung – an die Verhältnisse der Pubertät wird üblicherweise der Begriff „Adoleszenz“ verwendet. Während der Adoleszenz vollzieht sich eine grundlegende Neugestaltung des Gehirns. Während dieser Renovierung müssen alle seelischen Entwicklungsaufgaben, die von den biologischen Veränderungen gefordert wurden, von der Seele des Jugendlichen bewältigt werden. Es kommt zum Angriff auf die bisherige Identität.
Scheitern die seelischen Umstrukturierungsprozesse, so kann es jederzeit zu massiven Störungen kommen. Diese schlagen sich während der Adoleszenz in einer Fülle von Angstträumen nieder. Welche schweren seelischen Gefährdungen auftreten können, will ich mit dem Traum eines Jugendlichen verdeutlichen. Träume gewähren uns immer einen direkten Blick in das Unbewusste mit den zugehörigen innerseelischen Konflikten und Beziehungsproblemen.


Ein 17-jähriger Jugendlicher bereitet sich auf seine Abschlussprüfungen vor. Er reist nicht mit den Eltern zu einem Kurzurlaub, sondern bleibt allein zu Hause. Mit einem Male kriechen heftige Ängste heran, sie gipfeln in einer Panik-attacke. Der junge Mann beginnt, an seinen Wahrnehmungen zu zweifeln. Er glaubt, sich von der Wirklichkeit immer mehr zu entfernen, erlebt sich von gläsernen Wänden umgeben. Er sucht seinen Hausarzt auf, der ihn in eine Klinik einweist. 

Wenige Wochen vor der Panikattacke hatte er den folgenden Traum:
„Ich bin allein. Ich sehe, wie links und rechts zunächst Rinnsale, dann Bäche und Flüsse entstehen. Immer mehr. Es wird ein ganzes Netz, vom Festland bleibt immer weniger übrig. Ich bin schließlich ganz von Wasser umgeben, bin nur noch auf einer kleinen Insel, sie wird jedoch auch schon immer kleiner, ich werde langsam überschwemmt.”

Es ist ein Traum vom fast völligen Verlust der Identität. Wir erkennen eine ausgesprochene Fragmentierung und Auflösung der Erde, also des Selbst des Träumers. Das Festland wurde zerbröselt und vom Wasser überflutet. Der Jugendliche war der Überschwemmung durch Triebhaftes samt den gewaltigen Veränderungen nicht gewachsen und reagierte mit panischen Ängsten.


Angst vor Sexualität 

Der biologische Auftrag der Pubertät ist, dass aus einem Mädchen eine gebärbereite Frau, aus einem Jungen ein fortpflanzungsfähiger Mann wird. Im Tierreich ist das kein Problem, denn dort ist der Geschlechtsakt ein rein physischer Vorgang. Menschliche Sexualität spielt sich jedoch überwiegend in Gedanken und Fantasien ab. Darum lassen die erotischen und sexuellen Fantasien, Absichten und Handlungen die Adoleszenz zu einem aufwühlenden Abenteuer werden. Auf diesen Ansturm der Sexualität ist ein Kind nur selten  vorbereitet. 

Eine der wichtigsten Aufgaben der Adoleszenz ist es, dass eine individuelle Sexualität in die Persönlichkeit von weiblichen und männlichen Jugendlichen verinnerlicht wird und dass sich die auf die Mutter bzw. den Vater gerichteten erotischen Fantasien zurückbilden. Das geschieht ganz von selbst, wenn der Jugendliche ein einander zugewandtes Elternpaar hat. Es ist dort schwer, wo ein Junge oder ein Mädchen bereits „Partner” der Mutter geworden ist. 

Die fehlende Distanz zur Mutter kann zur Folge haben, dass der Junge seine männliche Entwicklung teilweise aufgibt und verweiblicht. Bekannt sind zehn- bis zwölfjährige vaterlose Jungen, die wegen Ängsten, Depressionen oder Kontaktproblemen auffallen. Gelegentlich wirken sie etwas dicklich, manchmal sind sie aber auch verführerisch und wirken feminin. Meist leben sie in enger Gemeinschaft mit ihrer Mutter, oft sehr zurückgezogen. Der Vater hat sich entweder von der Familie getrennt oder ist sogar ganz aus dem Leben von Mutter und Sohn verschwunden. Jungen erleben den Einbruch von Sexualität besonders erschreckend, oft bricht etwas Unbekanntes, Erschreckendes in ihre vertraute Welt ein.

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