Interview mit Benno Hafeneger: "In welcher Gesellschaft wollen wir leben?"

Ein Gespräch mit Benno Hafeneger, Professor an der Universität Marburg mit dem Schwerpunkt Außerschulische Jugendbildung, Jugendarbeit, Medien- und Kulturarbeit über den Wandel der Kommunikation, die Notwendigkeit diskursiver Debatten und über die Herausforderungen für die Bildungsarbeit.

"In welcher Gesellscheft wollen wir leben?”

Ein Gespräch mit Benno Hafeneger, Professor an der Universität Marburg mit dem Schwerpunkt Außerschulische Jugendbildung, Jugendarbeit, Medien- und Kulturarbeit über den Wandel der Kommunikation, die Notwendigkeit diskursiver Debatten und über die Herausforderungen für die Bildungsarbeit.

 

baugerüst: Es gab noch nie so umfangreiche Möglichkeiten, sich zu informieren. Zeitungen, Radio, Fernsehprogramme, Internet und soziale Medien stehen zur Verfügung. Sind Jugendliche trotz dieser vielfältigen Quellen ausreichend informiert über politische und gesellschaftliche Entwicklungen?

Hafeneger: Man darf nicht aus einer erwachsenen Perspektive auf die junge Generation blicken und urteilen. Junge Menschen sind heute anders informiert als die Generationen vorher. Sie wachsen mit allen Facetten der Medienwelt selbstverständlich auf, eignen sie sich an und basteln sich auf ihre Art und Weise Informationen zusammen, die für sie notwendig sind. Das muss man zunächst einmal feststellen, da gibt es gar nichts zu bewerten.

baugerüst: Sie gehören also nicht zu denen, die über zurückgehendes Leseverhalten lamentieren und sich über mangelnde Informationsbereitschaft beklagen.

Hafeneger: Das Leseverhalten hat sich schon verändert, aber wir leben auch in einer Umbruchszeit und wissen nicht genau, wie wir alle diese Veränderungen in der Medienwelt im Nachhinein zu bewerten haben. Ich will die ganze Entwicklung nicht mit einem kulturpessimistischen Blick betrachten. Auch die Jugendstudien zeigen ja, dass das Interesse an politischen Fragen nicht zurückgegangen ist, lediglich die Zugänge haben sich verändert.

baugerüst: Mit jedem neuen Medium hat sich auch die Kommunikation verändert. Wie nehmen sie diese Veränderungen bei Jugendlichen wahr?

Hafeneger: Die gravierendste Veränderung ist wohl die, dass Jugendliche und überhaupt wir alle ständig einen Zugang zur Welt haben. Wir können Tag und Nacht an allem, was in der Welt passiert teilnehmen. Trotzdem bezieht sich die Informationsbereitschaft zunächst auf die eigene Umwelt. Jugendliche sind ständig in Kommunikation über ihre Lebensthemen, in ihren Peer-Zusammenhängen, bei ihrer Organisation von Leben, Freizeit und Kultur. Dabei sind sie ständig eingebunden in die sozialen Medien.

baugerüst: Zunächst geht es also um Kommunikation der eigenen Themen, der eigenen Lebenswelt.

Hafeneger: Ja, der Blick in die Welt, auf die politischen Probleme, in die Gesellschaft, das ist zunächst nicht das zentrale Kommunikationsanliegen junger Menschen, aber auch nicht der Erwachsenen. Alle kommunizieren zuerst einmal darüber, was sie unmittelbar interessiert. Nun gab es vor der jüngsten Medienentwicklung zwar einen Filter zwischen der eigenen Lebenswelt und der großen Welt, der einiges sortierte, aber mit zwei Fernsehprogrammen und eventuell einer Tageszeitung war man trotzdem nicht verbunden mit den Lebensthemen der Welt.
Heute können wir jeden Tag wahrnehmen was in Afrika, Syrien, in der Türkei geschieht. Alle Themen der Welt sind ständig präsent und es gibt keine Tabus. Jugendliche haben einen ständigen unmittelbaren Zugang, sind aber auch nicht mehr geschützt vor dem, was ständig auf sie einprasselt. Das ist historisch gesehen eine ganz neue Situation.

baugerüst: Bei vielen Themen haben wir heute eine Vermischung von Information und Unterhaltung.

Hafeneger: Das ist der zentrale Wandel in der Mediengesellschaft. Informationen werden mit Unterhaltung vermischt, es wird personalisiert und skandalisiert, vieles ohne ausreichende Recherche. Die schnelle, zugespitzte, betroffen machende Information ist angesagt. Das ist nicht nur ein Medienphänomen, sondern ein Kulturphänomen mit dem die junge Generation ganz neu konfrontiert wird.

baugerüst: Medien produzieren heute permanent Nachrichten, auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Hafeneger: In unserer Beschleunigungs-, Ereignis-, Dramatisierungs- und Personalisierungsgesellschaft  müssen wir alle ständig prüfen und sortieren, was ist Wahrheit, welche Relevanz hat die Information, handelt es sich um Fake news, welchen Interessen dienen sie, sind es vorgeschobene Argumente u.v.a.m. Das ist die Herausforderung. Entweder man fällt auf gemachte Informationen herein oder man entwickelt die Fähigkeit kritisch zu sein und nicht alles zu glauben. Das ist der Preis der Beschleunigungs- und Ereigniskultur.

baugerüst: Wo lernen Jugendliche diskursiv zu diskutieren?

Hafeneger: Hier sind alle bildenden und erziehenden Institutionen vom Kindergarten bis zur Hochschule herausgefordert, Kompetenzen für den Umgang mit Medien zu vermitteln. Natürlich auch das Elternhaus. Insbesondere aber müssen Kulturarbeit, Jugendarbeit, politische Bildung Gegenmodelle zur marktinduzierten Alltagswelt anbieten. Notwendig ist: noch einmal recherchieren, noch einmal nachfragen, sich selbst eine Meinung bilden, nicht vermeintlich Autoritäten folgen. Das gehört alles in den Bereich von Erziehung und Bildung der Institutionen und Organisationen.

baugerüst: Sind die Institutionen hierzu in der Lage?

Hafeneger: Obwohl die Institutionen oft selber getrieben von Beschleunigung sind, müssen sie ein Gegenmodell anbieten, müssen Bildungsgelegenheit schaffen und auf das Widerspenstige bestehen, auch in der politischen Kultur.

baugerüst: Wie beurteilen Sie die Situation der außerschulischen Jugendbildung?

.......

Weiterlesen im bg 2/18