Interview mit Dr. Thies Gundlach: "Den Himmel offen halten"

Ein Gespräch mit dem Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD, Dr. Thies Gundlach über die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, über die Definition von Erfolg und die Frage, wie jugendlich eine Kirche sein sollte.

"Den Himmel offen halten"

Ein Gespräch mit dem Vizepräsidenten des Kirchenamtes der EKD, Dr. Thies Gundlach über die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, über die Definition von Erfolg und die Frage, wie jugendlich eine Kirche sein sollte.

baugerüst: Wenn Sie Evangelische Jugend in Deutschland mit einigen wenigen Stichworten skizzieren müssten. Was fällt Ihnen da spontan ein?

Gundlach: In der Evangelischen Jugend sind in aller Regel hoch engagierte junge Menschen, die über ein sehr waches politisches Bewusstsein verfügen. Dabei interessieren sie sich erstaunlicherweise auch für die Institution. Diese drei Eigenschaften betrachte ich einerseits mit einer gewissen Verwunderung, andererseits mit Respekt und Bewunderung.

baugerüst: Sie waren in Ihrer Hamburger Zeit selbst in der Jugendarbeit engagiert. Wie haben Sie da die Kinder- und Jugendarbeit wahrgenommen?

Gundlach: Ich habe in meinem beruflichen und privaten Umfeld viele engagierte Menschen kennengelernt, die von Jugendarbeit oder der Arbeit in der ESG geprägt wurden. Die Erfahrungen in diesem Bereich haben großen Einfluss auf die Biografien im weiteren Leben. In meiner Zeit als Pastor in Hamburg habe ich in der Gemeinde viel Jugendarbeit gemacht. Der Mittwochabend war reserviert für die Jugendgruppe. Über gemeinsame Erlebnisse zu geistlichen und spirituellen Themen zu kommen, war mir dabei wichtig. Darum sind wir mit den Gruppen auch viel gereist.

baugerüst: Was waren zu Ihrer Zeit die Veränderungen in der Arbeit und wie haben Sie diese erlebt?

Gundlach: Im Unterschied zu heute kamen in den neunziger Jahren die Kinder und Jugendlichen noch deutlicher aus christlichen Familien, hatten noch eine ungefähre Ahnung, was an Weihnachten und Ostern passiert war und wussten, dass der Reformationstag nichts mit Halloween zu tun hat. Das soll  aber keine Kritik an der heutigen Generation sein; wir haben es eben mit einer Generation zu tun, an die die christliche Tradition so nicht mehr weitergegeben wurde.

baugerüst: Wann ist für Sie evangelische Jugendarbeit erfolgreich?

Gundlach: Wenn wir es schaffen, Kindern und Jugendlichen ein spirituelles Grundgefühl Gott gegenüber zu geben, so dass für sie der Himmel offen ist. Ich glaube, Jugendarbeit ist dann erfolgreich, wenn dieses positive Grundgefühl für den christlichen Glauben bleibt und ein Resonanzkörper für die spirituelle Dimension entsteht, für alles, was man nicht auf Anhieb sieht, für das, was nicht nur schwarz oder weiß ist. Es geht darum, sich darauf verlassen zu können, dass der Himmel offen steht und Glaube dann auch etwas mit Verantwortung für den anderen zu tun hat.

baugerüst: Es geht Ihnen um die Konfrontation mit etwas bisher vielleicht Fremden.

Gundlach: Ja, ich könnte jetzt auch viel von Bibelfrömmigkeit oder Jesus Christus sagen, aber hier geht es um die Hintergrundfolie, auf der das Ganze schwingt. Und wenn es gelingt, dieses Grundgefühl Kindern und Jugendlichen mitzugeben, ist sehr viel erreicht. Ob sie sich dann eines Tages für den Kirchenvorstand oder für andere Gruppen interessieren, bleibt abzuwarten.

baugerüst: Kinder und Jugendliche sind heute in erster Linie Schülerinnen und Schüler. In diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren sehr viel verändert. Macht die Ganztagsschule die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen überflüssig?

Gundlach: Es gibt sehr gute Kooperationen zwischen der kirchlichen Jugendarbeit und der Schule; aber es gibt auch andere Fälle, in denen Schule und Jugendarbeit nicht vereinbar sind. Wenn Schulleitungen und Lehrer religiöse Angebote als lebensfördernd und als Beitrag zum Erwachsenwerden sehen, klappt die Zusammenarbeit gut. Wir müssen den Verantwortlichen immer wieder verständlich machen: Habt bitte keine Vorbehalte gegenüber religiösen Angeboten. Ein neutraler Staat bedeutet nicht, keine Religion zu erlauben, sondern verantwortlichen Umgang mit den vielfältigen Religionsformen einzuüben.

baugerüst: Besteht nicht die Gefahr, dass bei den schulischen Angeboten die Freiwilligkeit von Jugendarbeit auf der Strecke bleibt?

Gundlach: Religiöse Angebote in Schulen verfügen ja im Gegensatz zu anderen Fächern schon immer über einen gewissen Freiraum. Da würde ich nicht so viel Angst haben vor Einengung, Disziplinierung oder Verlust von Freiheit. Außerdem setzt die Jugendarbeit mit Feriengestaltung, Freizeiten oder gemeinsamer Übernahme von Verantwortung ja noch eins oben drauf. Die Schule ist für Kinder und Jugendliche der Lebensmittelpunkt, hier treffen sie Gleichaltrige. Die kirchlichen Angebote haben die Chance, den schulischen Alltag mit einigen Aspekten zu bereichern.

baugerüst: Evangelische Angebote für Kinder und Jugendliche sind vielfältig, von kleinen Gruppen bis zu großen Events. Warum kommen zu manchen Events wie Christival, Charismatischen Veranstaltungen oder auch zu den Kirchentagen so viele Besucher?

Gundlach: In dieser Phase des Lebens suchen Jugendliche Abenteuer, Herausforderungen und auch neue Formen der Gemeinschaft. Ich würde denjenigen, die sagen, Events seien oberflächlich und die Besucher wollten nur Disco oder Spaß, immer widersprechen. Ich glaube, bei großen Events entsteht ganz viel Frömmigkeit. Viele Biografien wurden durch die Kirchentage geprägt. Das ist schon eine Erfolgsgeschichte.

baugerüst: In diesem Jahr wird es auch einige Großveranstaltungen geben.

Gundlach: Ja, und das ist auch gut so. Wir leben in einer Welt, in der der Kampf um Aufmerksamkeit dramatisch zugenommen hat, gerade bei der Zielgruppe der Jugendlichen stehen wir im Wettbewerb mit vielen anderen Anbietern. Deshalb finde ich es außerordentlich wichtig, dass es Angebote wie Kirchentage, Nacht der Lichter von Taizé und vieles andere gibt. Hier können besondere Erfahrung gemacht werden.

baugerüst: Welchen Stellenwert hat die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bei Kirchenleitungen?

Gundlach: Es gibt wohl kaum eine Generation von älteren Verantwortlichen, die  so sehr darauf achtet, dass Jugendliche kirchliche Angebote interessant finden. Ich glaube, man kann heute mit dem Thema „Ich will etwas für Jugendliche machen“ fast jedes kirchliche Gremium für sich gewinnen. Das war früher anders, da herrschte eher die Sorge vor, die Jugendliche fordern wieder irgendetwas. Heute öffnet das Stichwort „Jugend“ in allen kirchlichen Gremien Türen, Geldbeutel und Ideen. Die Schwierigkeit besteht eher in der irrigen Vorstellung, dass – wenn wir eine jugendliche Kirche hätten – dann auch automatisch viele Jugendliche kämen. Ich glaube, das ist ein Trugschluss. Ich bin eher der Meinung, dass das Andere, das Fremde, das Überraschende Jugendliche neugierig macht. Sicherlich müssen Erwachsene die Jugendlichen auch Jugendliche sein lassen, aber die Konfrontation mit dem Anderen, mit dem Fremden gehört genauso dazu.

baugerüst: Wie kann das geschehen?

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