Interview mit Eike Wenzel: „Irgendwann werden wir uns Chips unter die Haut pflanzen lassen"

Ein Gespräch mit dem Trend- und Zukunftsforscher Eike Wenzel über verlorengegangene Gewissheiten, neoliberales Delirium, Informations-Tsunami und warum sich so viele Menschen abgehängt fühlen.

 „Irgendwann werden wir uns Chips unter die Haut pflanzen lassen"

Ein Gespräch mit dem Trend- und Zukunftsforscher Eike Wenzel über verlorengegangene Gewissheiten, neoliberales Delirium, Informations-Tsunami und warum sich so viele Menschen abgehängt fühlen.

baugerüst: Noch vor einer Generation wuchsen die Jugendlichen mit der Gewissheit auf, dass die Zukunft besser werden wird als die Gegenwart. Ist diese Gewissheit heute verloren gegangen?

Wenzel: In den kommenden Jahren wird sich die globalisierte Gesellschaft so rasant verändern wie lange nicht mehr und dabei gehen natürlich auch liebgewordene Gewissheiten verloren. Obwohl wir früher alle an die Segnungen dieser neoliberalen Wirtschaftsform geglaubt haben, werden wir den Prozess der Globalisierung anders gestalten müssen, wenn es in Zukunft gut gehen soll. Wir gehen immer weiter in Richtung einer Ungleichheitsgesellschaft. Und das hat Konsequenzen.

baugerüst: Viele Menschen haben kein Vertrauen mehr in diese Art des Wirtschaftens.

Wenzel: Ja, sie fühlen sich abgehängt und die Folge ist, dass mittlerweile bei manchen gesellschaftlichen Gruppen mangelnde Bildung oder auch gesundheitlich Probleme vererbt werden. Eigentlich war das alles schon vor Jahren absehbar.
Für die Zukunft müssen wir die Themen Nachhaltigkeit, Ungleichheit und die Klimaziele auf die Tagesordnung setzen. Nur wenn wir diese Probleme gleichzeitig anpacken, werden unsere Kinder wieder Vertrauen in die Zukunft gewinnen und damit auch wieder Gewissheit.

baugerüst: Was macht denn das Ende der Gewissheit mit den Menschen selber?

Wenzel: Ende der Neunzigerjahre waren alle in diesem neoliberalen Delirium und fragten wofür brauchen wir Gewerkschaften, wozu brauchen wir Betriebsräte wozu brauchen wir Sozialgesetzgebung? Auch ich habe als Wirtschaftsjournalist in diese Richtung geschrieben, weil wir der Meinung waren, vieles läuft sehr langsam in festen Gewohnheiten, nichts geht voran, alles ist eingefahren. Von daher hatten die neoliberalen Gedanken durchaus eine gewisse Berechtigung. Aber heute, zehn, fünfzehn Jahre später merken wir, dass viele Leute in diesem Land sich in sozialer und ökonomischer Hinsicht als Verlierer sehen und sich abgehängt fühlen.

baugerüst: Wir wollen mit diesem Heft zehn Zukunftsthemen in den Fokus nehmen. Dabei fragen wir auch, wie sich die Kommunikation zukünftig verändern wird.

Wenzel: Die Kommunikation hat sich in den letzten fünf Jahren für Jugendliche dramatisch verändert. Gerade merken wir, wie hormon- und gefühlsgesteuert die Kommunikation in den sozialen Medien abläuft.

baugerüst: Wo macht sich das noch bemerkbar?

Wenzel: Wir merken im Zusammenhang von Nachricht und Wahrhaftigkeit, von Nachricht und Authentizität, dass da nicht mehr das Label drauf steht: das kannst du glauben. Es gibt nicht mehr das Vertrauen in die klassischen Gatekeeper der Information wie Qualitätszeitung oder Tagesschau.

baugerüst: Jugendliche wachsen heute mit der Einstellung auf, dass im Netz alles zu finden sei und dass es diese Informationen umsonst gibt.

Wenzel: Ja, sie messen dem Netz eine relativ hohe Glaubwürdigkeit zu und fragen, warum es noch journalistische Aufarbeitung oder Kommentierung braucht, wenn man die Nachrichten auch von den eigenen Freunden über die sozialen Netzwerke bekommen kann.

baugerüst: Viele nehmen dies aber gar nicht als Problem wahr ...

Wenzel: ... und geraten in diesen Informations-Tsunami den die sozialen Medien erzeugen und sind dann nicht in der Lage, die dort gebotenen Informationen oder Meinungen richtig zuzuordnen. Wenn wir heute über Begriffe wie postfaktisch reden, dann hat das etwas damit zu tun. Jeder kann irgendetwas behaupten, es finden sich dann schon einige, die diese Ansicht teilen.

baugerüst: Die Idee der uneingeschränkten Kommunikation war mal von der Hoffnung des gleichberechtigten Austausches getragen.

Wenzel: Schon richtig, aber heute erleben wir eben auch das Gegenteil: Falschmeldungen, Lügen, verzerrte Berichterstattung.

baugerüst: Sie sprachen von mangelnder Orientierung. Wer könnte denn zukünftig so etwas anbieten?

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Weiterlesen in Heft 1/17​​​​​​