Interview mit Fulbert Steffensky: "Brot suchen, nicht die Steine"

Ein Gespräch mit Fulbert Steffensky über die Würde und die Schönheit des Glaubens, über Zweifel, Gnade und über Ängste der Kirchen.

"Brot suchen, nicht die Steine"

Ein Gespräch mit Fulbert Steffensky über die Würde und die Schönheit des Glaubens, über Zweifel, Gnade und über Ängste der Kirchen.

baugerüst: Religion, so zeigen verschiedene Studien, habe immer weniger Bedeutung bei den Menschen, die Entkirchlichung nehme zu und die Botschaft des  Christentums wird nicht mehr weiter gegeben. Wie nehmen Sie das wahr?

Steffensky:  Das ist ja nicht zu bezweifeln. Man sieht es in der eigenen Familie, in den Schulen, bei den Studierenden, auch bei den Theologie Studierenden. Nicht nur das Wissen über Religion ist geringer, auch die Ausübung von Religion, die Praxis und die Bräuche.  Ich glaube, dass sich Religion auf Dauer nur hält, wenn sie eine ausgeübte Religion ist. Früher hatte man die Losungen, das Abend- und Morgengebet, das Tischgebet und selbstverständlich den Sonntagsgottesdienst. Wenn von Religion nur noch etwas blass Gedachtes bleibt, dann ist sie natürlich bedroht.

baugerüst: Seit Generationen gaben Menschen ihren Glauben an die Kinder weiter, erzählten die Geschichte von Moses und dem Volke Israel, von Jesus, seinem Leben und seinem Wirken. Es war eine Selbstverständlichkeit für die Menschen. Mit welcher Haltung geschah das und was ist heute anders?

Steffensky: Es war ein Horizont von stummen Selbstverständlichkeiten. Man zieht sonntags andere Kleider an, geht in die Kirche, man fastet in der Fastenzeit, man heiratet nicht im Advent und was es sonst noch alles gab. Es war ein Horizont von unhinterfragten Traditionen.

baugerüst: Man hat es einfach so gemacht.

Steffensky: Das hieß natürlich auch, der Zweifel war ausgeschlossen und die Freiheit war zumindest beschränkt. Nun will ich nicht sagen, dass das alles schlecht war, aber auf jeden Fall waren die Menschen in dieser Religiosität weniger Subjekte als sie es heute sind. Man kann nur Subjekt sein, wo man die Wahl hat, zu bleiben oder zu gehen oder es anders zu machen. Und diese Wahl haben heute Menschen.

baugerüst: Der Einzelne ist auf sich geworfen, vorher gab es einen Rahmen, ein Geländer, eine Klarheit, jetzt ist der Einzelne sich selbst überlassen. Gleichzeitig beginnt auch wieder die Suche nach Halt, weil es überfordert, alles aus sich selbst herausholen zu müssen.

Steffensky: Allein bist du klein, das gilt ja auch religiös. Aber allein ist dein Gewissen gefragt. Du musst dich entscheiden und wir können uns entscheiden. Das ist ja die Schwierigkeit, man muss sich entscheiden.

baugerüst: Die Vielzahl der Entscheidungsmöglichkeiten ist ja auch eine psychische Schwierigkeit, die mich entscheidungsschwach machen kann.

Steffensky: Wenn du tausend Optionen hast, bist du in der Gefahr, keine zu ergreifen. Ich habe ja früher immer etwas gespottet über die vielen spirituellen religiösen Landschaften und Praxen, die es gibt. Ich sage eigentlich nichts mehr dagegen. Es gibt viele Felder auf denen sich Menschen tummeln, das sind Formen der Sehnsucht.

baugerüst: Warum wenden sich Menschen ab? Tun sie dies bewusst oder ist Religion und Glaube einfach kein Thema mehr? Empfinden sie das als Befreiung oder wenden sie sich ab, weil Druck und Kontrolle nicht mehr vorhanden sind?

Steffensky: Zunächst einmal sind der Druck und die Kontrolle nicht mehr da. Es ist ein Stück Freiheit, ich kann gehen. Ich kann auch bleiben, auch das gehört zur Freiheit. Es gibt auch eine Mode, die Grundfragen an das Leben nicht mehr zu stellen. Das halte ich schon für eine Verarmung. Man kann dieser Mode heute straflos folgen. Früher war es fast undenkbar, nicht gläubig zu sein. Es gibt den ernsthaften Atheismus, den ich schätze, auch das sind meine Geschwister im Glauben und im Unglauben. Aber es gibt auch die Mode, diesen Gewohnheitsatheismus.

baugerüst: Die Menschen fragen sich, was bringt mir das, was bringt mir Glaube und Kirche für mein Leben?

Steffensky: Da haben wir in unseren eigenen Traditionen etwas versäumt. Wir haben immer gesagt, das musst du glauben, das ist der richtige Glaube und der Zweifel ist ausgeschlossen. Wir haben aber vergessen - und das ist für mich immer mehr ein Thema geworden - wir haben vergessen, die Würde und die Schönheit des Glaubens zu explizieren. Ich glaube, dass man auf Dauer nur etwas glauben kann, was man schön und charmant findet. Und das haben wir verpasst. Es gab das Muss des Glaubens, das Verbot des Zweifels und man hat sich von den eigenen Schätzen selber entfernt. Man hatte die Nüsse, aber man hatte nicht die Erlaubnis sie zu knacken.

baugerüst: Welche „Nüsse“ müssen „geknackt“ werden?

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Weiterlesen in Heft 4/17​​​​​​