Interview mit Hartmut Rosa: „Es wird immer schwieriger etwas zu bewahren“

Ein Gespräch mit dem Soziologie-Professor Hartmut Rosa über den Umgang mit Fremden, der Sehnsucht, dass alles so bleibt, wie es ist und was Resonanzerfahrungen für das Zusammenleben der Menschen bedeuten kann.

„Es wird immer schwieriger, etwas zu bewahren.”

Ein Gespräch mit Soziologie-Professor Hartmut Rosa über den Umgang mit Fremden, der Sehnsucht, dass alles so bleibt, wie es ist und was Resonanzerfahrungen für das Zusammenleben der Menschen bedeuten kann.

baugerüst: Laut einer Umfrage des ARD Deutschlandtrends hat die Mehrheit der Deutschen Angst vor hohen Flüchtlingszahlen. Angst vor zu vielen Flüchtlingen, vor Fremden, vor Terror, überhaupt vor der Zukunft, Angst scheint in die Mitte der Gesellschaft eingebrochen zu sein. Warum ist das so?

Rosa: Die Frage dabei ist, worauf sich diese Angst richtet. Auch während des Kalten Krieges in den 60er oder 70er Jahren waren viele Menschen beunruhigt und der Meinung, in diese Welt könne man keine Kinder setzen, die sei viel zu schrecklich. Rückwirkend betrachtet war die damalige Zeit relativ stabil und friedlich.

baugerüst: Was trägt denn heute zur Beunruhigung der Menschen bei?

Rosa: Wir erleben heute eine globale Beunruhigung und Menschen haben das Gefühl, dass viele Leitplanken in ihrem Leben verloren gehen, ja dass selbst Gewalt und Krieg wieder zu einer realen Möglichkeit werden können. So lange ist es ja gar nicht her, dass europäische Staaten untereinander Krieg geführt haben.

baugerüst: Die Weltlage verleitet nicht gerade zu optimistischen Höhenflügen, aber warum die Angst vor denen, die aus Verzweiflung ihre Heimat verlassen haben?

Rosa: Die Fremden sind nicht per se das Problem, die können ja auch interessant oder auch eine Herausforderung sein. Die Deutschen reisen wie niemals zuvor durch die Welt und wollen dort den Fremden begegnen, wenigstens dosiert und kontrolliert.
Was wir zurzeit bei vielen Menschen in Deutschland wahrnehmen, ist die Angst, den Zustrom von fremden Menschen nicht mehr kontrollieren zu können, überwältigt zu werden. Kontrollverlust ist vielleicht die Urangst der Menschen.

baugerüst: Haben Menschen das Gefühl dem Fremden wehrlos gegenüber zu stehen?

Rosa: Diese Furcht scheint nicht besonders begründet zu sein, aber sie ist ohne Zweifel vorhanden. Wo man sich mit Menschen oder einer fremden Kultur aktiv auseinandersetzt – ich nenne das  anverwandeln – in dem Moment macht das bei weitem nicht mehr so viel Angst.

baugerüst: „Die Demonstranten würden die Fremden zu einer falschen Projektionsfläche für ein an sich berechtigtes Anliegen machen.“ schrieben Sie kürzlich in der FAZ. Dass sich so viele Menschen fremd im eigenen Land fühlen, läge nicht an den Fremden oder den Ausländern, sondern vielmehr an der Beschleunigung des sozialen Wandels. Menschen sind also gar nicht skeptisch gegenüber Fremden sondern erfahren sich selber als ohnmächtige Opfer?

Rosa: Es gibt eine Grundtendenz dem Fremden mit Skepsis gegenüber zu treten. Grundsätzlich gibt es aber immer zwei Möglichkeiten: Ich kann den Fremden als different wahrnehmen, „da ist jemand anders“ oder als deviant, da macht es jemand falsch. Probleme entstehen dort, wo Differenz grundsätzlich als deviant interpretiert wird. Wenn der Andere das nicht so macht wie ich, dann macht er es grundsätzlich falsch. Je größer die Differenz ist, desto falscher wird dann alles. Fremdenfeindlichkeit entsteht aus dieser zweiten Haltung heraus. Alles, was als das andere wahrgenommen wird, ist dann das Falsche.

baugerüst: Die Flüchtlinge, die Fremden machen alles falsch?

Rosa: Ja, diese Haltung kommt dann zu dem Schluss: die haben den falschen Glauben, die gehen falsch mit den Kindern oder mit den Frauen um. So entsteht dieses Problem.
 

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Weiterlesen im Heft 1/16