Interview mit Luisa Sappel , Laura Niedermirtl und Charlotte Simon: „Die Likes sind gut fürs eigene Ego“

Ein Gespräch über die Frage, ob sich das Leben nur um mich dreht, über die eigene Präsentation in sozialen Netzwerken und ob damit das Ego oder die Gemeinschaft gepflegt werden. Luisa Sappel , Laura Niedermirtl und Charlotte Simon sind Studierende der Fachakademie für Sozialpädagogik in Traunstein.

„Die Likes sind gut fürs eigene Ego“

Ein Gespräch über die Frage, ob sich das Leben nur um mich dreht, über die eigene Präsentation in sozialen Netzwerken und ob damit das Ego oder die Gemeinschaft gepflegt werden. Luisa Sappel , Laura Niedermirtl und Charlotte Simon sind Studierende der Fachakademie für Sozialpädagogik in Traunstein.

baugerüst: 70 Prozent der Menschen sagen: Heute ist jeder so mit sich beschäftigt, dass er oder sie nicht mehr an andere denkt. Stimmt das?

Charlotte S.: Ich denke schon, dass diese Beobachtung zutrifft und immer mehr Menschen sehr auf sich selber bezogen sind. Viele wollen im Mittelpunkt stehen und erfolgreich sein. Aus meinem eigenen Umfeld kann ich das aber nicht so bestätigen. Ich komme aus einer großen Familie und habe vier Geschwister, da achtet eigentlich jeder auf jeden.

Luisa S.: Doch, das stelle ich auch fest. Man hat oft zu viel mit sich selber zu tun, da treten die Anliegen der anderen sehr oft in den Hintergrund.

Charlotte S.: Viele Menschen hören einfach nicht mehr richtig zu. Wenn jemand fragt, wie es dir geht, bleibt oft gar nichts anderes übrig als zu sagen: O.k., passt schon alles. Die wirkliche Antwort interessiert eigentlich keinen. Wenn jemand sagt, mir geht es nicht gut, wird es ja kompliziert.

Laura N.: Oder aber der Gesprächspartner redet plötzlich von sich selber und sagt: Ja genau, das kenn ich oder habe ich auch.

baugerüst: Viele sagen, das Leben dreht sich nur um mich.

Laura N.: Vielleicht braucht man diese Einstellung heutzutage auch. Ich muss mir selber so viel zutrauen und auf mich achten. Man muss heute schon auf sich selber schauen um auch das zu erreichen was man erreichen will.

Charlotte S.: Ja schon, aber viele meinen auch, sie seien so toll und so super, aber vieles davon ist einfach nur Fassade. Das selbstsichere Auftreten ist nur da, um den Schein zu wahren.

Luisa S.: Wenn man nur auf andere schaut und keine Zeit für sich selber hat, geht man innerlich kaputt.

baugerüst: Hat Zusammenhalt oder Solidarität überhaupt noch eine Bedeutung?

Luisa S.: Im Freundeskreis schon. Wir gehören zusammen, wir helfen einander. Auch in der Familie steht das Wir im Vordergrund.

baugerüst: Aber die Gesellschaft wird immer egoistischer?

Charlotte S.: Ich finde schon, dass die Gesellschaft immer egoistischer wird, nicht im Freundeskreis oder in der Familie, aber außerhalb schon.

Laura N.: Ich finde, man merkt es auch bei den Kindern. Kinder wachsen heute so auf, dass sie in der Familie den Ton angeben wollen.

Luisa S.: Jeder ist mit sich selbst beschäftigt und viele nehmen ihre Umgebung gar nicht mehr richtig wahr. Kaum jemand sagt nach einer Rempelei „Entschuldigung“, höchstens noch „Hoppla“.

Laura N.: Diese Fokussierung auf sich selber sieht man ja auch bei den vielen Selfies. Alle machen Bilder von sich selber, stellen diese ins Netz und hoffen auf Anerkennung. „Oh, ich habe 100 Likes auf mein Bild bekommen“, heißt es dann.

Charlotte S.: Ich beobachte das auch im Umgang mit Kindern. Die ganzen Handyspiele werden alleine gemacht und sind sehr Ich-bezogen, nicht wie beim Kickern oder bei einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, wo man mit anderen etwas zusammen macht. Mit dem Handy bist du alleine und völlig abgegrenzt.

baugerüst: Wie nehmt ihr das in eurem beruflichen Umfeld wahr?

Laura N.: Ich glaube schon, dass Kinder in einem bestimmten Alter nur sich selber sehen und meinen, die Welt drehe sich nur um mich. Aber ich habe in den Einrichtungen auch wahrgenommen, dass Eltern ihre Kinder andauernd loben: „Mein Kind kann das und das“. „Mein Kind hat immer Recht bei Streitigkeiten“.

Luisa S.: Man braucht schon eine Portion Selbstbewusstsein und muss auch sagen können, „das hab ich jetzt gut gemacht“. Aber wenn jemand dauernd sagt, ich bin so gut, ich bin so super, dann ist das einfach zu viel. In der eigenen Scheinwelt ist man dann der Beste. Dabei kann es leicht passieren, dass andere oder die Umgebung dabei aus dem Blickfeld geraten.

baugerüst: Heute ist jeder vielmehr für sich selber verantwortlich als früher, gleichzeitig ist immer weniger festgelegt, man muss selber schauen, wie man durchkommt. Ist die Ich-Bezogenheit eine Konsequenz aus dieser Entwicklung?

Luisa S.: Das hängt auf jeden Fall miteinander zusammen. Du brauchst heute diese Portion Egoismus und das Selbstbewusstsein: Ich bin was, ich kann was. Damit man vorankommt.

Laura N.: Ich glaube, dass man früher mehr zurückstecken musste und sich gar nicht so sehr auf sich selber konzentrieren konnte.

Luisa S.: Natürlich hat man heute sehr viele Möglichkeiten und kann sich manchmal kaum entscheiden. Da ist die Tendenz schon gegeben nur auf sich zu schauen und die anderen vollkommen auszublenden.

Charlotte S.: Es ist heute schon sehr schwierig geworden, weil es einfach zu viele Möglichkeiten gibt. Man steht dauernd vor einer Kreuzung und muss sich entscheiden. Kaum hat man die erste Entscheidung getroffen, kommt die nächste Kreuzung und man muss erneut abwägen. Wenn man dann noch andere mit in den Blick nimmt, hast du es gleich mit mehreren Kreuzungen zu tun.

baugerüst: Wird erwartet, perfekt zu sein?

Charlotte S.: Es wird erwartet, sein Selbst zu optimieren. Ich nehme schon wahr, dass die Gesellschaft so eine Tendenz zum perfekten Leben, zum perfekten Menschen, zum perfekten Beruf hat. Dabei ist das Streben nach dem Perfekten eine Scheinwelt, aber es wird in den Medien vorgelebt: Frau mit zwei Kindern, top Karriere, top Figur und top intelligent. Wow denkt man sich, das wäre schon toll und man fängt an, am eigenen Ich und an seiner Persönlichkeit zu bastelt.

baugerüst: Gibt es den Druck, aus sich persönlich etwas zu machen?

Luisa S.: Auf jeden Fall! Man setzt sich selber schon sehr unter Druck. Ich glaube nicht, dass das früher auch so extrem war.

Charlotte S.: Es wird viel erwartet in der Ausbildung. Ok schließlich möchte ich einen guten Abschluss haben, um in ein gutes Arbeitsfeld zu kommen. Daneben habe ich aber auch noch mein privates Leben. Doch, ich glaube schon, dass die Anforderungen gestiegen sind.

Laura N.: Ich glaube, dass es heute einfach mehr Möglichkeiten gibt, um die eigene Biographie aufzumotzen und sich selber dadurch auch besser zu machen.
 

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Weiterlesen im Heft 3/16