Interview mit Mechthild Belz und Bernd Wildermuth: „Wir rauben das, was gerade geht – auf Kosten zukünftiger Generationen.“

Ein Streitgespräch zwischen Mechthild Belz, Landesjugendreferentin für Entwicklungsbezogene Bildung, und dem württembergischen Landesjugendpfarrer Bernd Wildermuth über die Frage, ob sich der Kampf um ein besseres Klima noch lohnt oder ob bereits alle Hoffnung verloren ist.

„Wir rauben das, was gerade geht – auf Kosten zukünftiger Generationen.“

Ein Streitgespräch zwischen Mechthild Belz, Landesjugendreferentin für Entwicklungsbezogene Bildung, und dem württembergischen Landesjugendpfarrer Bernd Wildermuth über die Frage, ob sich der Kampf um ein besseres Klima noch lohnt oder ob bereits alle Hoffnung verloren ist.

baugerüst: „Ich will eure Hoffnung nicht. Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ – ein Zitat von Greta Thunberg. Was antwortet ihr darauf?

Mechthild Belz: Ich kann nachvollziehen, woher das kommt und gleichfalls denke ich, dass Panik kein guter Ratgeber ist. Es kommt einerseits darauf an, besonnen und ganzheitlich Sachen anzuschauen und auf der anderen Seite verstehe ich angesichts dessen, wie es ums Klima steht, dass sie Entscheidungsträger*innen wachrütteln möchte und möchte, dass sie endlich in die Umsetzung kommen – von Versprechungen zu Realtaten.

Bernd Wildermuth: Man kann es nachvollziehen. Es hat einen gewissen Charme und eine gewisse Aufrüttlung. Aber in Panik handeln Menschen nie vernunftgeleitet und tun oft instinktiv das Falsche. Ich würde es anders sagen: Es geht um das Erschrecken, was wir getan haben. Im Grunde ist das ein biblisches Motiv, wenn man mal die Panik gegen das Erschrecken austauscht. Die Eltern hatten saure Trauben gegessen und den Kindern sind die Zähne stumpf geworden. Das, was andere getan haben, müssen jetzt Generationen später ausbaden. Egal, ob sie es nicht besser wussten oder ob sie es sehenden Auges gemacht haben. Das spielt erstmal keine Rolle. Führt dieses Erschrecken zu einer Umkehr oder zu einem Schulterzucken? Das ist eine offene Frage.

baugerüst: Wir diskutieren seit „fridays for future“ wieder mehr übers Klima. Kam das aus Eurer Sicht zu spät oder genau zur richtigen Zeit?

Wildermuth: Ich kann mich noch gut an die Zeit zwischen 1989 und 1991 erinnern. Da habe ich versucht, den CO2- Ausstoß zu reduzieren, das Auto so gut wie nicht zu benutzen und nur noch Fahrrad zu fahren. Das ist 30 Jahre her und offensichtlich gab es damals schon gute Gründe dafür. Ich denke, es ist viel zu spät. Es bewegt sich auch relativ wenig. Und die Nachrichten werden jedes Jahr gravierender. Der Meeresspiegel steigt doppelt so schnell, bei den Temperaturen jagen wir von einem Rekordjahr ins nächste. Es ist ganz offensichtlich zu spät. Und wir haben das in keinster Weise im Griff. Die Hoffnung ist immer: Vielleicht wird nächstes Jahr ein bisschen besser, ein bisschen kühler, ein bisschen feuchter.

Belz: Aber das schmälert nicht das Engagement von „fridays for future“. Ungeachtet der Zeitschiene ist es gut, dass sie auf die Straße gehen, dass sie politischgesellschaftlich massiv die Wahrnehmung auf das Thema lenken. Natürlich sind sie gefrustet, weil ihre Forderungen in der Politik nicht so schnell Umsetzung finden, wie sie einfordern. Aber ich beobachte schon, dass sich gesellschaftlich was getan hat, seit es die Bewegung gibt. Und der Erfolg liegt auch darin, dass es die Generation ist, die für das Thema mobilisiert.

baugerüst: Hat sich in der Klimapolitik in Deutschland und Europa seit der Gründung der Bewegung deutlich was geändert?

Belz: Es ist immer schwierig zu sagen, was die Ursache dafür war, dass sich was geändert hat. Paris war schon so ein Punkt, Agenda 2030 ist ein Erfolg. Das war aber vor „fridays for future“. Und nichtsdestotrotz passiert, obwohl man sich als Staaten zu bestimmten Maßnahmen bekennt, immer noch nicht genug. Und dafür ist es gut, dass „fridays for future“ die Aufmerksamkeit dahin lenkt. Aber für das, wie viele Menschen unterwegs sind und sich positionieren, kann ich den Frust gut verstehen.

Wildermuth: Man muss sich morgens nur in Stuttgart hinstellen und in die Autos gucken. Da fahren fast alle alleine, in jedem dritten Auto sitzen vielleicht zwei Menschen. Man braucht sich nur in die Einkaufsstraße stellen, wie die Leute mit Primark-Tüten aus dem Einkaufszentrum kommen. Man weiß, wie viel CO2 die Kleiderindustrie verursacht, das ist gigantisch. Aber es passiert in der Breite nicht wirklich was. Wenn man mal den Lebensstandard der heutigen Generation und der zwei Generationen früher vergleicht: Meine Schwiegermutter hat alles geflickt, hat ihr Gemüse aus dem Garten geholt. Sie ist ein Mal im Leben verreist, wollte einmal nach Israel. Sonst hat sie in einem Radius von 30 Kilometern gelebt. Sie hat einen minimalen ökologischen Fußabdruck. Und was machen wir? Wir legen riesige Strecken zurück, wir bestellen das und das. Wir füllen ein Mal im Jahr den Kleiderschrank und leeren ihn wieder. Wir schmeißen alles weg. Und wir denken, dass das unser gutes Recht ist. And that's the problem.

baugerüst: Geht es uns einfach zu gut, als dass wir das ernst nehmen?

Wildermuth: Nein, wir rauben das, was gerade geht. Auf Kosten zukünftiger Generationen. Auf Kosten der Ressourcen dieser Erde. Eigentlich ist es nichts weiter als Habgier. Bei der Ausstellung zum Thema „Wie will ich – wie wollen wir gut leben?“, die wir 2017 mit der aej in Wittenberg hatten, ging es ums Thema Maßhalten. Und auch Jugendliche, die zu „fridays for future” gehen, sagen: Auf die vier, fünf Flüge im Jahr und bestimmte Klamotten will ich auf keinen Fall verzichten. Und es geht auch um Verzicht. Alles andere ist Sand in die Augen gestreut. Es ist eine gigantische Illusion zu denken: Wir brauchen nur eine neue Technologie und schon klappt es auch mit dem Klimawandel. Belz: Da stimme ich mit dir überein. Wir können nicht auf neue Technologien setzen und hoffen, dass sich alles verändert. Aber ich glaube schon, dass es ein Wechselspiel sein muss zwischen dem, wie ich mein eigenes Maß als Individuum finde und wie wir das als Gesellschaft finden. Und eine Forderung von „fridays for future” geht ja dahin, dass sie sagen, nachhaltig leben ist gar nicht möglich in den Strukturen, in denen wir leben. Wie bei Greta, die nach New York wollte und mit dem Segelschiff gefahren ist. Es muss ein gutes Miteinander gefunden werden: Einerseits muss Politik bestimmte Rahmenbedingungen schaffen und da sehe ich auch, dass es Richtung Regulierung, Verzicht und Verbote gehen wird. Und andererseits müssen diese getragen werden von den Individuen, die einsehen müssen, dass wir auf kleinerem Fuß leben müssen.

baugerüst: Diese Generation Anfang 20 lebt heute ja oftmals bewusster, isst bio, kauft wenige fair produzierte Klamotten, fährt mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Ist das nicht frustrierend, weil das ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, was ich als Individuum erreichen kann?

Belz: Was ist die Alternative? Es sind so viele Absurditäten dabei, gerade beim Fliegen. So viel Fleisch kann ich gar nicht essen, wie ich mit einem Landstreckenflug verursache. Das heißt, wenn ich aus ökologischen Gründen das ganze Jahr auf Fleisch verzichte, dann aber meine Fernreise mache, ist mein CO2-Fußabdruck immens groß. Auch wenn es eine Bubble von Menschen ist, die sensibilisiert sind und auch entsprechend leben, denke ich, dass sie trotzdem eine gesellschaftliche Wirkung haben. Vielleicht nicht die große ökologische Wirkung, die entscheidend ist, sondern eher eine gesellschaftliche. Ich finde es wichtig, dass es diese Menschen gibt, dass es diese Tropfen gibt, auch wenn sie zu verdampfen scheinen.

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Mechthild Belz, Jahrgang 1984, ist Diakonin und Landesjugendreferentin für Entwicklungsbezogene Bildung beim Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (EJW).
Bernd Wildermuth, Jahrgang 1957, ist Landesjugendpfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und langjähriges Mitglied der Redaktion „das baugerüst”. Von 2014 bis 2017 war er Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej). Mit den beiden sprach Annika Falk-Claußen.

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