Interview mit Prof. Thomas Schlag: „Freikirchliche Gemeinschaften stellen eine familienähnliche Verbindlichkeit her. ”

Ein Gespräch mit dem Züricher Theologieprofessor Thomas Schlag über ICF, die Bedeutung der Konfirmandenarbeit, strategisch denkende Jugendliche und warum angehende Pfarrer unbedingt Begeisterungsfähigkeit mitbringen müssen.

„Freikirchliche Gemeinschaften stellen eine familienähnliche Verbindlichkeit her. ”

Ein Gespräch mit dem Züricher Theologieprofessor Thomas Schlag über ICF, die Bedeutung der Konfirmandenarbeit, strategisch denkende Jugendliche und warum angehende Pfarrer unbedingt Begeisterungsfähigkeit mitbringen müssen.

baugerüst: Wie definieren Sie die Gruppe „junge Erwachsene“?

Thomas Schlag: Altersmäßig liegt der Standard bei empirischen Untersuchungen zwischen 18 und 35 Jahren. Aber das ist nur die statistische Seite der Medaille. Was dieses junge Erwachsenenenalter ausmacht, sind die wachsende Mobilität, aber auch individuelle Erfahrungen von Destabilisierung. Weil sich Netze und Beziehungen erwei-tern, kann man hier auch von einer Phase des dynamischen Sondierens sprechen. Diese Sondierungsprozesse sind verbunden mit viel Freude und positiven Spannungspotenzialen, aber eben auch mit Unsicherheit, etwa finanzieller Art. Ökonomisch ist es für viele eher eine prekäre Zeit. Und dann gewinnt man den Eindruck, dass es in dieser Generation eine Spannung gibt zwischen individuelle Hoffnung und der Zuversicht, was einem gelingen wird einerseits, aber angesichts der globalen Zusammenhänge auch eine gewisse Drucksituation andererseits. Insofern ist es aus meiner Wahrneh-mung eine sehr intensive Zeit, die durchaus mit einer Reihe von sehr herausfordernden Spannungen verbunden ist, beruflich und familiär, mit lokalen und globalen Faktoren. 

baugerüst: Würden Sie neben dem Alter auch einen sozialen Status mit einbeziehen, also zählt man noch zur Zielgruppe, wenn man eine Familie gegründet hat, sich ökonomisch vom Elternhaus gelöst hat?

Schlag: Die Frage ist, wann junge Erwachsene ihre Abnabelung vom Elternhaus voll-ziehen. Mein Eindruck ist eher, dass die finanzielle Abhängigkeit noch sehr lange Bestand hat. Ich bin mir bei dieser Generation nicht sicher, ob und wann überhaupt eine komplette Unabhängigkeit in Blick auf den eigenen Haushalt und die Lebensführung stattfindet. Das sind sehr unterschiedliche Indikatoren, die da eine Rolle spielen. Ich würde es stark begreifen über die Ansprüche und Verpflichtungen, in denen diese Altersgruppe steht und sich dann auch sozial verortet. 

baugerüst: Viele der kirchlichen Angebote für diese Zielgruppe richten sich an Studierende. Ist das auch Ihre Wahrnehmung? 

Schlag: Wenn man auf die dezidierte junge Erwachsenenarbeit blickt, die Kirche anbie-tet, scheint sie erst einmal nicht spezifisch auf ein bestimmtes Lebensalter abzuzielen. Vielmehr zieht man eher Milieus an, die Zeit und auch einen gewissen intellektuellen Anspruch haben. Man muss deshalb immer fragen: Gibt es kirchliche Präsenzen, die nicht in klassischer Verbands- oder Kirchen-gemeindearbeit stehen. Orte und Gelegen-heiten, bei denen diese Gruppe dann doch da ist. Es fällt einem natürlich die Hoch-schule und eine entsprechende Hochschul-arbeit ein. Das andere, an das man oft gar nicht denkt, sind Militärseelsorge oder auch Gefängnisseelsorge. Das ist keine Bildungsarbeit im engeren Sinne, aber ich denke, es gibt eine Reihe an Orten, an denen junge Erwachsene immer schon präsent sind ohne dass man eigens um sie werben muss. Die-se kirchlichen Orte hat man oft nicht so im Blick, aber hier sind junge Erwachsene vorhanden und hier sollte Kirche eben auch präsent sein.

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Foto: Annika Falk-Claußen