Kathrin Winkler: "Nichts ist so beständig, wie der Wandel..."

Veränderungen als Kraftquelle für menschliche Entwicklungen

Was der Philosoph Heraklit von Ephesos schon vor 2500 Jahren konstatierte, ist eine Wahrheit, die nicht selten erschreckt, aber auch neugierig macht auf eine Umgestaltung der Umstände. Aus anthropologischer Sicht lässt sich vielleicht Tröstendes sagen: Veränderungen sind ein unvermeidbarer und wichtiger Bestandteil menschlichen Lebens. Sie erfordern die Fähigkeit, sich veränderten Situationen anzupassen und sich neu zu orientieren. Veränderungen begleiten menschliches Leben ab dem Zeitpunkt der Geburt. Von der ersten Stunde des Lebens sind Menschen dazu gezwungen, sich anzupassen und auf neue Situationen einzustellen. Oft sind diese Änderungen der Lebensbedingungen verbunden mit Angst und Unsicherheit. Für manche Menschen jedoch bedeuten Veränderungen eben auch Lust, Neugierde und positive Motivation.(1) In einer globalisierten Welt, in der sich gefühlt in jedem Augenblick etwas verändert, das Einfluss auf den Einzelnen hat, stellen sich an diesem Punkt für das pädagogische Handeln mehrere Fragen:  Wie gehen Kinder und Jugendliche mit lebensweltlichen Veränderungen um? Welcher Grad an Veränderungen ist für Kinder und Jugendliche tragbar bzw. wie können sie diese gestalten? Wie viel Stabilität brauchen Kinder und Jugendliche, um sich auf Veränderungen einlassen zu können. Gibt es Bedingungen, die im pädagogischen Handeln besonders gefördert werden sollten?

Gute Gründe für Veränderungen

Zunächst einmal kann aus entwicklungspsychologischer Sicht festgehalten werden: Dazulernen, sich verändern, Neues ausprobieren kann ein spannendes und gewinnbringendes Unternehmen sein. Es kann die Bestätigung bringen, sich weiterzuentwickeln. Das Selbstvertrauen wächst und damit auch die Erfahrung, dass Kontrolle und Einfluss auf Veränderungen möglich sind. Durch Veränderungen können Menschen erfahren, wo ihre Grenzen liegen und wo es noch etwas hinzu zu lernen gibt. Dadurch entwickelt sich ein Erfahrungsschatz, der bei weiteren neuen Situationen hilfreich ist. Kinder und Jugendliche, die diese Erfahrungen nicht machen können oder dürfen, weil Eltern oder Erziehungspersonen sie vor Veränderungen behüten wollen, prägen daraus für sich das Selbstbild: Mir kann man nichts zutrauen, ich bin zu schwach, ich bin dazu nicht fähig, ich schaffe es nicht. Das bedeutet, Veränderungen bergen die Chance, ein stabiles Selbstbewusstsein auszubilden und notwendige Erfahrungen zu machen. (2)

Gleichzeitig spielt es für den Umgang mit Veränderungen eine Rolle, ob Menschen sich freiwillig verändern oder ob sie sich von den Umständen zu einer Veränderung gezwungen sehen. Veränderungen können demnach innere wie äußere Ursachen haben. Entsprechend der Rolle und dem Überwiegen entweder der inneren oder äußeren Ursachen für die Veränderungen kann unterschieden werden in überwiegende Selbstveränderung oder in überwiegendes Verändert werden.  Die Veränderung einer Gesamtsituation ist die Grundlage für die Entwicklung von Individuen, die in ihr existieren. Sie reagieren auf die Veränderung, erwerben damit die Fähigkeit, sich nach Veränderungen zu stabilisieren, und schaffen damit Kompetenzen, die als Bewältigungsreaktion oder Coping verstanden werden können und mit deren Hilfe sie sich fortentwickeln. Individuen profitieren von Veränderungen, durch die eine Eigendynamik in den Individuen entsteht. Der Fortschritt im Individuum kommt durch die Veränderung von unzähligen Situationen zustande. Auf das Kindes- und Jugendalter  bezogen meint dies z.B. Wachstumsprozesse, kritische Lebensereignisse wie Krankheit, Tod und Verlust, erwartbare Veränderungen wie Übergang in die Schule/Kindertagesstätte, aber auch Umzug, Armutserfahrungen, Erkrankungen der Eltern und gesellschaftliche Veränderungen wie Migration und Kriegserfahrungen. (3)

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Veränderungsprozessen ist deren Bezug zu menschlicher Entwicklung und menschlichem Lernen. Menschliches Lernen basiert auf Veränderungen, die durch individuelle wie situative Erfahrungen sowie durch neu gewonnene Einsichten zu einem Lernzuwachs führen. Lernen ist somit ein Prozess der Veränderung, der die Entwicklung von Individuen forciert. Das Resultat dieses Prozesses ist die Veränderung des Verhaltenspotentials. Lernen zeigt sich damit als ein zentraler Aspekt der Veränderung, ohne den menschliche Entwicklung nicht denkbar wäre. Ohne den Wandel von Situationen ist kaum ein Lernprozess oder der Erwerb von Kompetenzen sowie Sozialisation im weitesten Sinne vorstellbar. Insbesondere ist dieser Sachverhalt in der frühkindlichen Entwicklung von außerordentlicher Bedeutung. Aus lernpsychologischer Sicht sind Veränderungen somit ein notwendiger Impuls für formale wie informelle Lernprozesse. Monotonie und Einförmigkeit dagegen ist zerstörerisch und krank machend. Sie ist für lernende Organismen nicht nur schwer erträglich, sondern auch im Hinblick auf Entwicklung kontraproduktiv bis extrem schädlich. (4)

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