Ralf Kötter: Such-Bewegungen - Verheißungen einer Kirche im Sozialraum

Vertrautes ist unwiederbringlich verloren – ganz besonders in den Kirchen. Gesucht werden neue Leitbilder. Was ist Kirche? Welchen Auftrag hat sie? Wie kann ihre Botschaft, die über die Welt hinausweist, in der Welt anschlussfähig sein? Dieser Beitrag versteht sich als weiträumige Such-Bewegung, um biblischen Motiven und partizipativen Lösungen auf die Spur zu kommen. Das Such-Ergebnis sei vorweggenommen: Eine Kirche, die den Weg in den Sozialraum sucht, findet zu sich selbst zurück.


Niemand suche das Seine, sondern was dem andern dient
(1. Kor 10, 24) – die Du-Perspektive des Glaubens


Christliche Freiheit ist immer eine Freiheit zur Verantwortung. Sie entpflichtet nicht, sondern befreit zum Dienst für andere. Das ist der Grundgedanke paulinischen Denkens, wie er auch schon im ältesten Christuszeugnis der Menschheit zum Ausdruck kommt: Ein jeder sei so gesinnt, wie es der Gemeinschaft mit Christus entspricht. Er, der in göttlicher Gestalt war, hat sich auf diesem Privileg nicht ausgeruht, sondern er hat sich entäußert, auf ein Du hin ausgerichtet. Er wurde den Menschen gleich. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tod (vgl. Phil 2, 5-11). In Christus wird die Such-Bewegung deutlich, die den lebendigen Gott seit jeher kennzeichnet. Auch wenn der Mensch sich verbirgt – Gott sucht ihn: „Adam, wo bist du?“ (Gen 3, 9) Vergeht sich der Mensch, geht ihm Gott suchend nach: „Kain, wo ist dein Bruder Abel?“ (Gen 4, 9) Diese Such-Bewegung, die wir auch als Nachfolge Christi beschreiben, befreit vom Ringen um Privilegien, lässt zur Ruhe kommen und gleichzeitig den suchenden Blick heben, um das Gegenüber zu finden. Das verzagte Bekümmertsein um sich selbst verwandelt sich zur neuen Freiheit, sich um andere kümmern zu können. Die Such-Haltung ist die DNA christlichen Glaubens, der innerste Kern der Nachfolge Jesu Christi. „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Gal 6, 2)

Die Kirche hat mit dieser Grundorientierung immer gerungen. Mal hat sie sich im Machtgehabe verloren, mal war sie solidarisch und ganz nah an den Menschen – um nur wenige Augenblicke später wieder selbstverliebt ganz um sich selbst zu kreisen. Gerade die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war von der überheblichen Fehleinschätzung geprägt, nun sei die große Zeit der Kirche angebrochen. Nach dem Zusammenbruch weltlicher Macht wähnte man sich im Nachkriegsdeutschland als Bollwerk und Garant alter, statischer christlicher Werte. Eine Suche nach neuen Werten schien überflüssig. Aber gesellschaftliche Werte verschieben sich unaufhörlich – und eine nicht-suchende Kirche wird in ihrer Selbstsucht kaum mehr besucht.
Die Konsequenzen sind katastrophal: „Beide Großkirchen … befinden sich mitten in einem … bislang beispiellosen Traditionsbruch… Die Christianisierung der Gebiete, die sich heute Deutschland nennen, erstreckte sich über Jahrhunderte, die Entkirchlichung kulminierte in wenigen Jahrzehnten… Ein ,christliches Deutschland‘ gibt es nicht mehr.“(1) Das Beharren auf alten Besitzständen riskiert den Bestand. Eine neue Suche ist dringend nötig, eine Suche nach dem, was dem anderen dient.

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