Roger Schmidt: In der Krise zu neuen Fortbildungsangeboten

Digitale Kompetenzen in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit

Die Pandemie hat viele Bereiche der Gesellschaft und alle Aspekte evangelischer Kinder- und Jugendarbeit in eine Krise gebracht. Fort- und Weiterbildung war da keine Ausnahme. Hunderte von Maßnahmen sind ausgefallen und verschoben worden. Aber die Krise hat auch neue Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel: Was muss ich eigentlich können, wenn ich online Jugendarbeit mache? Der „digitale Schub“ in der Kirche war besonders in der evangelischen Kinder- und Jugendarbeit ausgeprägt: Digitale Osternacht, Podcast für die Jungschar, ActionBound, digitales Seminar im Freiwilligen Sozialen Jahr. Fort- und Weiterbildungsveranstalter haben auf diese Fragen auch zügig reagiert. So haben wir im Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal eine ganze Reihe von Fortbildungen, in denen Jugendarbeiter*innen lernten, spannende Veranstaltungen online durchzuführen.

In der Krise wurde aber auch jedem zunehmend deutlich: Wir müssen die digitale Welt, in der Kinder und Jugendliche leben, als Teil evangelischer Kinder- und Jugendarbeit verstehen. Das bedeutet auch, dass sich ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende, bewusst, kreativ, sicher und verantwortet in der digitalen Welt bewegen können sollten. Sie müssen also Dinge können, die im Gemeindehauskeller nicht nötig waren. Kurz gesagt: Sie brauchen digitale Kompetenzen. Auch kirchliche Verantwortliche haben das im Zug der Krise erkannt.

Deswegen ist es kein Wunder, dass in den „12 Leitsätzen zur Zukunft einer aufgeschlossenen Kirche“, die die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im November 2020 beschlossen hat, Digitalisierung einen prominenten Platz einnimmt. Der 6. Leitsatz lautet: „Wir wollen Kirche im digitalen Raum sein.“ Die Erläuterung gibt Hinweise, welche Überlegungen Kirche im digitalen Raum leiten soll. Ein Element dabei: „Mitarbeitende sollen in die Lage versetzt werden, in der Logik digitalen Handelns zuhause zu sein.“ Wie diese „Beheimatung“ aber vonstatten gehen soll, darüber geben die 12 Leitsätze kaum Auskunft. Von Ausbildung ist nebenbei die Rede. Klare Anforderungen an Fort- und Weiterbildung fehlen ebenso, wie ein Anschluss an die breite Diskussion zu digitalen Kompetenzen. Darin unterscheiden sich die „Leitsätze“ von der aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion um „Digital Leadership“, also die Fähigkeit eines Unternehmens im digitalen Wandel zu bestehen. So schreibt Tobias Kollmann in einem aktuellen Lehrbuch „Investitionen in digitale Weiterbildung [sind] unabdingbar, um insbesondere die ältere Mitarbeitergeneration in den Transformationsprozess zu integrieren.“ 

Mitarbeitende brauchen digitale Kompetenz

Die kirchliche Unterstützung für digitale Ideen konzentrierte sich bisher vor allem auf Verwaltungsvorgänge, Ausstattung und einige Leuchtturmprojekte. Digitalität – so entsteht der Eindruck – ist etwas für Spezialist*innen. Wenn aber das Evangelium in der digitalen Lebenswelt genauso präsent sein soll wie der Kirchturm im Dorf, dann braucht es die Kreativität der kirchlich Mitarbeitenden in ihrer Vielfalt.

Von Pfarrerin und Kindergartenleiterin, Kirchenmusiker und Jungscharleiter, Kirchenbandleader und Besuchsdienstmitarbeiterin. Um aber kreativ sein zu können im digitalen Raum, brauchen die Mitarbeitenden digitale Kompetenz. Sie müssen – angemessen reflektiert – wissen, wie sie digital aktiv sein können. Digitale Kompetenz ist dabei ein Begriff der en vogue, aber keineswegs eindeutig ist.

Der Ruf nach digitaler Kompetenz für alle ist allenthalben zu hören – zumindest außerhalb der Kirche. 2016 hat die deutsche Kultusminister-Konferenz dazu die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ veröffentlicht. Sie stützt sich auf den Europäischen Referenzrahmen für Digitale Kompetenzen (oder Dig-Comp). Diese erwartet, dass alle europäischen Bürgerinnen und Bürger in folgenden Aspekten mit digitalen Werkzeugen umgehen können:
1. Informations- und Datenkompetenz.
2. Gestalten und Erzeugen digitaler Inhalte.
3. Kommunikation und Kollaboration.
4. Sicherheit und Wohlbefinden.
5. Problemlösekompetenz

Aber wie steht es um diese Kompetenzen bei der deutschen Bevölkerung und bei kirchlichen Mitarbeitenden? Seit 2013 veröffentlicht die Initiative 21, eine Organisation von Bundesregierung und großen Unternehmen der Digitalwirtschaft, einen „Digitalindex“. Ein wichtiges Teilziel ist, die Digitalkompetenz der deutschen Bevölkerung zu erheben. Zunehmend orientiert sie sich dabei am genannten Europäischen Referenzrahmen.

Für die Studie wird jährlich eine repräsentative Stichprobe erhoben. Die Befragten geben an, inwiefern sie die jeweilige Kompetenz besitzen oder nicht. Ein paar Beispiele illustrieren wie eng begrenzt die Digitalkompetenz in weiten Teilen ist. So können zwar nach Selbstaussage im Rahmen der Informationsund Datenkompetenz 76 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung eine Internetrecherche durchführen, aber nur 56 Prozent geben an, unseriöse Nachrichten als solche identifizieren zu können. Noch krasser sind die Unterschiede im Kompetenzbereich Kommunikation und Kollaboration. So können zwar 80 Prozent mit dem Smartphone ein Foto machen und dieses versenden, noch 36 Prozent eine Videokonferenz einrichten, aber lediglich 19 Prozent geben an, ihre digitale Identität in sozialen Medien steuern zu können.

Es gibt keine vergleichbare Studie für kirchliche Mitarbeitende. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass die Werte der so verstandenen digitalen Kompetenz bei kirchlich Mitarbeitenden etwas höher liegen, da sie oft höhere Bildungsabschlüsse haben als der Durchschnitt der Bevölkerung. Trotzdem es wahrscheinlich, dass es einem größeren Teil der kirchlichen Mitarbeitenden an grundlegenden digitalen Kompetenzen mangelt.

Aber auch wenn es anders wäre – diese allgemeinen Digitalkompetenzen reichen nicht aus, um das Evangelium in der Breite der digitalen Lebenswelten zu kommunizieren. Gerade hauptamtliche kirchliche Mitarbeitende müssen ihre grundlegenden beruflichen Kompetenzen auch in der digitalen Welt zum Wirken bringen können. Wahrscheinlich ist dafür ein ganz bestimmter Mix an digitalen Kompetenzen notwendig – welche das genau sind, darüber gibt es keine Einigkeit.

In einer kleinen, nicht repräsentativen Studie haben die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland und das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal Mitarbeitende in der evangelischen Jugendarbeit befragt, welche digitalen Kompetenzen sie für besonders wichtig halten. 361 haben die Umfrage beantwortet – etwa zwei Drittel beruflich Mitarbeitende und ein Drittel Ehrenamtliche. Sie waren gebeten, 24 digitale Kompetenzaussagen danach zu bewerten, ob es sich um
• eine Grundkompetenz handelt, also alle Mitarbeitenden sie besitzen sollen,
• eine Aufbaukompetenz, die sich einige Mitarbeitende in der evangelischen Jugendarbeit aneignen sollten
• oder die Kompetenz für die kirchliche Arbeit mit jungen Menschen gar nicht relevant sei.

Acht Kompetenzaussagen haben bei den Befragten besondere Zustimmung erfahren. Zwei Drittel der Befragten oder mehr ordneten sie als Grundkompetenz ein. Zusammenfassend lassen diese sich folgendermaßen beschreiben:
• Verständnis von Lebenswelten jungen Menschen (gerade in Sozialen Medien oder im Gaming-Bereich)
• Klarheit über rechtliche Rahmenbedingungen (Jugend- und Datenschutz, usw.)
• Gremienleitung und Moderation von digitalen Partizipationsprozessen
• Digitale Gruppenleitung mit Spaß und Inhalt
• Ethische Reflexion der Digitalität

Diese Grundkompetenzen erfahren eine sehr große Zustimmung. Andere Kompetpetenzen halten viele eher für Spezialwissen. Dazu gehört Videos aufnehmen und schneiden oder Podcasts gestalten. Wie immer man eine Kompetenz im Einzelnen auch einordnet: Die Liste von relevanten Kompetenzen bleibt lange und herausfordernd. Denn für irrelevant hält die 24 vorgeschlagenen Kompetenzen kaum jemand von den Befragten. Die Liste klärt nicht abschließend die notwendigen digitalen Kompetenzen für kirchliche Mitarbeitende. Denn natürlich gibt es Unterschiede in den Einsatzbereichen und Unterschiede, wie tief eine Kompetenz tatsächlich beherrscht werden muss. ...........

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Foto: No-Te/Adobe Stock