Roland Bader: Fake News oder "Ich mach mir die Welt, widewidewie sie mir gefällt"

„Es war einmal …“

Eines schönen Morgens schlagen Sie Ihre Zeitung auf, es ist die Wochenzeitung DIE ZEIT. Dort lesen Sie: „Klimasünder werden zur Kasse gebeten, Finanzmarktregulierungen greifen, globale Strukturen werden neu gestaltet. (…) Opel in Belegschaftshand, Banken verstaatlicht“ und viele andere positive Nachrichten mehr. Die Politik sei „am Ende des Tunnels“ angelangt, so titelt der Aufmacher.

Lassen Sie sich einen Moment Zeit, diese Nachrichten sacken zu lassen. Empfinden Sie womöglich ein Gefühl der Erleichterung, dass Gerechtigkeit und Ausgleich wiederhergestellt sind? Dass es sich lohnt, etwas gegen die Ungerechtigkeit zu tun, dass Gutes und Anstand doch am Ende siegen? Dann wären Sie nicht allein. Menschen haben das Bedürfnis, sich in einer anständigen und rechtschaffenen Welt zu wähnen (Aronson, Wilson & Akert, 2004, Kap. 6 zum Thema Selbstrechtfertigung). Da dieser ein zentraler Gedanke des folgenden Artikels ist, behalten Sie ihn zumindest so lange im Gedächtnis, bis Sie diesen Artikel zu Ende gelesen haben.

An den Themen des ZEIT-Fake können Sie erkennen, dass diese Ausgabe von 2010 stammt, vom 1.Mai. Gestaltet und verteilt wurde dieses Fake von Attac. Es gibt eine ganze Reihe weiterer Fakeprojekte. Am bekanntesten sind die YES-Men, die immer wieder mit humorvollen und spektakulären Aktionen auf Missstände aufmerksam machen. Und damit den Möglichkeitsraum des Märchens offenhalten. Ja, eine gute, anständige und gerechte Welt ist möglich, in der Gerechtigkeit und Solidarität wiedergeherstellt sind. Wenn Ihnen vor lauter Bad News Angst, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Depression durch die Knochen kriechen, erinnern Sie sich daran, dass es wichtig und möglich ist, Zuversicht mit Mut und Realitätssinn zu verbinden.

Bis vor kurzem noch verstand man unter Fake diese witzigen, satirischen und kritischen Kommentare à la Attac. Ein Beispiel dafür ist Jan Böhmermanns Videomontage zum Stinkefinger von Jannis Varoufakis. Den meisten bleibt allerdings der Humor im Hals stecken, seit Trump mit dem Ruf „Haltet den Dieb!“ alles als Fake News diskreditiert, was nicht von ihm selbst in die Welt gesetzt ist. Seither meint „Fake News“ nicht mehr die satirisch-kritischen Kommentare zum politischen Geschehen, sondern die mit Absicht verbreiteten Falschnachrichten, um die Glaubwürdigkeit seriöser Informationen zu erschüttern und das Vertrauen in die journalistische Berichterstattung zu untergraben.

Halten wir als erste Erkenntnisse fest: Der Humor stirbt zuerst. Zweitens: Fake News sind Bad News. Sie skandalisieren, schüren Empörung, machen Angst, klagen an. Und drittens: Mit dem Humor stirbt auch das Vertrauen.


Die Saat des Zweifels

Einzelne Nachrichten haben kaum eine Chance, grundsätzliche Meinungsänderungen herbeizuführen. Es werden Nachrichten bevorzugt rezipiert, um die eigene vorgefasste Sichtweise („Meinung“, „Einstellung“) der Rezipienten („Publikum“ oder „Wählerschaft“) zu bestätigen. Diese Erkenntnis, dass Menschen ihre einmal gefasste Meinung nicht einfach ins Gegenteil verkehren, wurde schon bei den ersten Forschungen zur Wirksamkeit von Nachrichten und Kampagnen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gewonnen. In den vergangenen 70 Jahren wurden sie vielfach bestätigt („Bestätigungsfehler“, Kahnemann, 2012). Die Konsequenzen, die „Spin doctors“ (Meinungsmacher) aus dieser Erkenntnis zogen, wurden bis zu Obamas Wahlkämpfen immer raffinierter.

Ab den 2000er Jahren bedienten sie sich – zum Ziel des effizienten Einsatzes der begrenzten Wahlkampfmittel – vor allem der Big Data, die aus der Internetnutzung und der Kommunikation in Sozialen Netzwerken gewonnen waren. Big Data geben einen fast totalen Einblick in die Einstellungen und Lebensgewohnheiten der meisten Menschen und ermöglichen so den gezielten Einsatz von Wahlwerbungsmaßnahmen (Haustürbesuche, Spendenkampagnen, Transportdienste, Aktivierung von Senioren durch ihre Enkel etc.) dort, wo sie sich wirklich lohnen (ausführlich dargestellt in Kucklick, 2014, im Kapitel: Wie Obama sein Volk auflöste).

Strategisch waren diese Möglichkeiten von den beiden Parteien im jüngsten US-Wahlkampf 2016 vermutlich weitgehend ausgeschöpft. Trump sah sich deshalb gezwungen, in seinem Wahlkampf einen Schritt weiter zu gehen. Durch gezielte Desinformation (Verleumdung, Streuen von Gerüchten und Falschmeldungen) sollten die Anhänger der gegnerischen Kandidatin davon abgehalten werden, überhaupt zur Wahl zu gehen. Die entsprechenden Kampagnen müssen natürlich nicht flächendeckend gestreut werden (zu teuer wegen Streuverlusten), sondern können unter Einbezug von Big Data und den Eigenheiten des US-amerikanischen Wahlsystems punktgenau in den Bezirken und bei exakt den Menschen ansetzen, die am meisten schwanken und wo darum die  größten Erfolgsaussichten für das Endergebnis zu erwarten sind. Diese – bekanntlich erfolgreiche - Strategie war eine Überraschung für alle, die in Bezug auf Fake News vor allem den Wahrheitsgehalt der politischen Kommunikation einklagen und an moralische Maßstäbe appellieren. Der gezielte strategische Einsatz geriet dabei aus dem Blick.

Fake News machen sich Eigenarten (oder „Verzerrungen“ oder „Fehler“) unseres Wahrnehmungs- und Denkapparats zunutze, die vor allem von Daniel Kahnemann (2012) und Aaron Twersky in ihrem Lebenswerk untersucht wurden. Unsere Wahrnehmung der Welt, unsere Informationsverarbeitung und unser Gedächtnis (unsere „Kognitionen“) sind nicht in erster Linie auf „Wahrheit“ hin angelegt, sondern auf wirkungsvolles Handeln und Entscheiden.  So sind wir etwa lausige Statistiker, d. h. wir unterscheiden nicht, ob eine Aussage auf statistisch seriösen Erhebungen (z. B. „47% der Deutschen halten eine Große Koalition für die beste Lösung“) oder auf Einzelaussagen z. B. aus Straßeninterviews beruht, oder gar aus der Meinung der engsten Bekannten.

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