Vom Scheitern: Das große Tabu der Moderne

von David Novakovits

Scheitern ist ein ambivalent schillernder Begriff: Er kann tiefe Angst, aber auch eine vorsichtige Faszination auslösen. Die Ratgeberliteratur ist hierfür ein gutes Beispiel. Wenn Scheitern in religiösen Bildungsprozessen zur Sprache kommen soll, kann es jedoch nicht um billige (und schnell zynisch werdende) Formeln wie „wer scheitert, hat etwas gelernt“ gehen oder darum, Fehlschläge einfach zu ästhetisieren.

In einem ersten Schritt kann daher gefragt werden: Wie kann sich dem Phänomen Scheitern grundlegend angenähert werden? Erfahrungen des Scheiterns – sowohl gesellschaftlich als auch individuell – nicht zu verdrängen, kann ein Weg sein, Scheitern zu enttabuisieren. Warum dies gerade für junge Menschen heute bedeutsam ist, wird in einem zweiten Schritt geklärt. Abschließend wird exemplarisch eine biblische Ressource ins Spiel gebracht, die verdeutlichen soll, dass biblische Erzählungen ein emanzipatorisches Potential beinhalten, welches in der Bildungsarbeit mit (jungen) Menschen entdeckt und gehoben werden kann.

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Und dann bleibt da auch noch die Figur des Vaters: Ist er wirklich der Patriarch, der sich nur freut, dass der „Verlorene“ zurückgekehrt ist und jetzt wieder in Sicherheit ist?

Wäre dem so, dann wäre dies auch eine zynische Barmherzigkeit, die letztlich von den Söhnen (und Töchtern) nicht erwartet, dass sie ihre eigenen Wege finden, sondern zuhause – unter der „Obhut“ des Vaters – bleiben. Oder kann die Barmherzigkeit des Vaters in der Erzählung nicht gerade darin entdeckt werden, dass er dem jüngeren Sohn einen Spielraum eingeräumt hat (zwischen Loslassen und Festhalten)?Denn, so könnte man sagen: „Der Vater wird auch Angst haben um den Fortziehenden, Angst, daß die Ablösung scheitert. Und in dieser Geschichte ist ja der Weggegangene gescheitert. Die Kälte der Gewalt, die es zu Hause für ihn nicht gab, die hat er draußen schneidend zu spüren bekommen. Nur, es war für den Weggegangenen eben sein Risiko, sein Lernprozeß, sein Irrtum. Der Spielraum zum  Scheitern: daß der Vater ihm gerade den eingeräumt hatte, ließ ihn erwachsen werden - und zurückkommen.“ Es lohnt sich, aus der Perspektive des Scheiterns diese Erzählung neu zu lesen und jungen Menschen (aber auch Eltern!) hier eine Ressource zugänglich zu machen, die auch Mut geben kann, sich immer wieder neu auf die Suche nach dem eigenen Begehren zu machen, ohne die damit verbundenen Risiken zu bagatellisieren.