Wolfgang Noack: Ein paar Jahre später

„Eine reiche unerschöpfliche Landschaft, die es zu entdecken und zu erwandern gilt“ sei die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. So nachzulesen im Standpunkt-Artikel der ersten Ausgabe des Jahrgangs 2010 dieser Zeitschrift. Der Titel des Heftes: Jugendarbeit 2017. Sieben Jahre später klingen nicht wenige Sätze so, als seien sie gestern verlautbart worden. „Am Verhältnis der Kirche zur heranwachsenden Generation entscheiden sich in einer Gesellschaft, in der eine christliche Sozialisation keine Selbstverständlichkeit mehr darstellt, die Gegenwart wie Zukunft der Kirche“, so die damalige Ratsvorsitzende der EKD Margot Käßmann im Gespräch dieser Ausgabe. Der Vorsitzende der Evang. Jugend in Bayern, Michael Thiedemann erklärt im gleichen Heft: „Ich hoffe, dass im Jahr 2020 Konfirmandenarbeit und schulbezogene Jugendarbeit nicht die einzigen Arbeitsfelder sein werden. Als konfessioneller Jugendverband haben wir schließlich noch viel mehr zu bieten“. Auch die Prognose des damaligen aej Vorsitzenden Thomas Schalle weist in eine ähnliche Richtung: „Kinder- und Jugendarbeit wird zunehmend zum Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen und zur Werkstatt für die globalen und lokalen Lebensthemen. Ihre Antworten werden mit entscheiden, ob in drei Generationen überhaupt noch junge Menschen den Weg in die Kirche finden und unsere demokratische Kultur sich lebendig weiter entwickelt.“

Und heute, sieben Jahre später? „Man kann heute mit dem Thema ‚Ich will etwas für Jugendliche machen‘ fast jedes kirchliche Gremium für sich gewinnen“, sagt der Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD Thies Gundlach im Gespräch dieser Ausgabe und behauptet: „Heute öffnet das Stichwort ‚Jugend‘ in allen kirchlichen Gremien Türen, Geldbeutel und Ideen“.
Was ist zwischen 2010 und 2017 passiert? Neben einer Reihe von Jugendstudien erschütterte vor allem die Kirchenmitgliedschaftsstudie der EKD das Selbstverständnis der Volkskirche (s. das baugerüst 1/15: u.a. Michael Domsgen, Detlef Pollack und Gespräch mit Gert Pickel).
Wenn es um die Konsequenzen aus dieser Studie geht, ist viel von Traditionsabbruch, Anschlussfähigkeit und Übergängen die Rede. Der Religionssoziologe Gert Pickel zieht aber noch einen anderen Schluss: „Institutionen leben davon, dass sie sich wandeln. Jugendliche möchten auch dabei sein, nicht ausgeschlossen werden. Gleichzeitig möchten sie nicht mit etwas verbunden werden, was in ihren Augen als uncool erscheint. Deswegen ist es wichtig, dass sie auch das Gefühl haben, es bewegt sich etwas in ihre Richtung“.
Hier setzt das vorliegende Heft an und beschreibt am Anfang verschiedene Landschaften der Jugendarbeit. Kein vollständiges Landschaftsbild der Angebote evangelischer Kinder- und Jugendarbeit wird hier gezeichnet, der Fokus liegt eher im spirituellen, im „frömmeren“ Bereich. Andere Landschaftsteile und Inseln kamen in anderen Ausgaben zu Wort: Zusammenleben, Zukunft, Protest, Freiheit, Demokratie, Heimat, Frieden und Gerechtigkeit u.v.a.m. Alles Themen, die in der evangelischen Jugendarbeit verankert sind. Hier nun die Jugendkirchen, die Gottesdienstkultur, missionarische Angebote, die in manchen Regionen „echte Renner“ sind. Für die einen ein Aufbruch, andere „fremdeln“ eher mit solchen Formen. Trotzdem gehört alles doch zu einer Landschaft, auch wenn manche meinen, sie lebten auf einer Insel (wobei nichts gegen Inseln gesagt werden sollte. Man kann sich wohl nirgendwo besser erholen als dort).
Mit Landschaft wird zum einen die kulturell geprägte Gegend als ästhetische Ganzheit bezeichnet, zum anderen versteht man darunter ein geographisches Gebiet, das sich durch bestimmte Merkmale von anderen unterscheidet. Während ersteres Verständnis die Gefahr der Abgrenzung mit sich bringt, liegen die „bestimmten Merkmale“ der zweiten Definition für die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen klar auf der Hand: Für diese Zielgruppen Angebote schaffen, bei denen sie sich einbringen und gestalten können, die freiwillig und partizipativ sind und bei denen es darum geht, „den Himmel offen zu halten“ (ein wunderbarer Satz von Thies Gundlach; s.S. 58).
Auch Bernd Wildermuth greift diesen Gegensatz von Landschaften und Inseln in seinem Beitrag auf und kritisiert die mangelnde Kooperation verschiedener Angebote kirchlicher Arbeit für Kinder und Jugendliche. Er rät zu einem Perspektivwechsel, gerade auch, weil sich die Altersstruktur in diesem kirchlichen Arbeitsfeld erheblich verändert hat.
Im zweiten Teil des Heftes führen die Autorinnen und Autoren eine Debatte zu der Frage, wann die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen erfolgreich ist. Gibt es Erfolgskriterien? Wenn ja, wie sehen diese aus? Und: für wen wird der Erfolg in diesem Arbeitsbereich definiert?
Diese Debatten sind notwendig, damit sieben Jahre weiter, 2024, die „reiche unerschöpfliche Landschaft“ entdeckt und erwandert werden kann.